Re: Kreationistische Entgleisungen


[ Antworten ] [ Ihre Antwort ] [ Forum www.hbgl.net ]

Abgeschickt von Heinz Boente am 25 Mai, 2007 um 09:30:40

Antwort auf: Re: Kreationistische Entgleisungen von Walter Keil am 24 Mai, 2007 um 14:43:04:

Hallo Herr Keil, Herr de Neidels, liebe Forumsbesucher.

Woher nehmen Sie nur Ihren Optimismus, Herr Keil? Ich bin zwar in vielen Dingen Ihrer Meinung, glaube aber andererseits nicht, daß sich allzu viele Ihrer Hoffnungen in einer absehbaren Zeit erfüllen werden. Um noch einmal Herrn Pfeifer zu zitieren: die Conditio humana steht dem im Wege.

Ich glaube nicht, daß "der Mensch" schon reif ist für eine echte Globalisierung, weder im wirtschaftlichen, noch im religiösen Sinne. Am ehesten klappt das noch in der Wissenschaft. Eine echte und faire ökonomische Globalisierung scheitert an der Gewinnsucht Einzelner und die ideologische an den - wie Sie es nennen - "Betonköpfen".

Die heute erreichte relative Freiheit im Christentum ist beispielsweise m. E. nicht etwa auf eine plötzlich erwachte Toleranz der christlichen Kirchenführer zurückzuführen, sondern auf eine Liberalisierung von unten, also von den durchaus weiterhin gläubigen und christlich handelnden Menschen, die aber andererseits sehr wohl erkannt haben, daß da so manches in den Doktrinen nicht mit der Realität zusammenpaßt. Einen solchen "Luxus" kann sich aber nur eine Gesellschaft leisten, deren Bildung und Lebensstandard ihr diesen Freiraum bietet. Warum wohl finden sich die gläubigsten Menschen in den ärmsten Gegenden dieser Erde?

Ich denke auch, daß es in dieser Diskussion sehr wichtig ist, zwischen dem Glauben an einen Gott und den Ansprüchen seiner selbsternannten Vertreter auf Erden zu unterscheiden. Wenn Sie schreiben "daß Wissenschaftler ihre religiösen Überzeugungen offen oder subtil in Ihre Arbeit mit einfließen lassen", dann meinen Sie damit deshalb sicher die grundsätzliche Frage, ob es ein transzendentales Wesen (Gott) gibt oder nicht. Die Glaubensfrage schlechthin also, die nur jeder Einzelne für sich selber beantworten kann und deren Beantwortung sich durchaus in einer Glaubensgemeinschaft manifestieren kann. Und diese Frage kann mittlerweile auch ein Wissenschaftler offen bejahen, es kann ihn ja eh keiner widerlegen. Warum also nicht. Auch HvD hat sich ja in seinen späteren Werken ausführlich mit der Wirklichkeit befaßt, die weit über den erreichten Stand der heutigen menschlichen Erkenntnisfähigkeit liegt.

Aber genau in dem Augenblick, wo dieser Glaube an eine durchaus auch wissenschaftlich begründbare Realität institutionalisiert, kanalisiert, ja, zur Durchsetzung eigener Machtziele dogmatisiert wird, hört bei mir der "Spaß" auf. Von dort zur Manipulation des einzelnen Gläubigen, über Kleidungs-, Nahrungs-, Lebens- und Verhaltensvorschriften bis hin zum religiös motivierten Selbstmordattentat (ich weiß, ich werde jetzt ein wenig kraß) ist es nämlich meiner Meinung nach nur ein winziger Schritt. Ich glaube nicht, daß auch nur ein einziger dieser Radikalgläubigen sich auch nur eine einzige Sekunde lang ähnliche Gedanken gemacht hat wie die, die wir hier diskutieren. Und - etwas milder - ich glaube auch nicht, daß der Prozentsatz unter den moderaten, liberalen Gläubigen jeglicher Couleur, sich mit dem Grundsätzlichen in ihrem Glauben auseinandersetzen, besonders hoch ist. Alle Religionen bieten ja dafür den ihnen Anhängenden genügend Riten an, in denen sie sich in jeder, aber auch jeder denkbaren menschlichen Lebenssituation geborgen fühlen können ohne den vorgezeichneten Pfad ihrer Religion verlassen zu müssen. Weiterführende wissenschaftliche Erkenntnisse haben zwar dort keinen Platz, aber man hat sich in den "zwei Welten", wie HvD es ausführlich beschrieben hat, arrangiert.

Daß es unsere Welt gibt, ist offenkundig. Woher sie stammt und welches ihre Ursache oder gar ihr Ziel und Zweck ist, nicht. Das läßt einen wunderbar breiten Raum, für jegliche Art von Spekulationen, Mystizismus, Wunder, Esoterik usw.. Da fällt es leicht zu behaupten, daß eine Schrift direkt von Gott stammt (Gegenbeweis unmöglich!). Und auch daß ganz bestimmte, dem Menschen (und sogar vielen höheren Tieren) sowieso innewohnende ethische und moralische Grundsätze, ohne die ein Leben in einer Gemeinschaft eh nicht möglich wären, angeblich göttlichen Ursprungs sind (Gegenbeweis unmöglich!).

Und wenn dann gar noch - wie in meinem vorigen Beitrag über die Zeugen Jehovas geschrieben - versucht wird, für die - wie ich sie genannt habe - Pseudo-Intelektuellen diesen breiten Raum des, ich nenne es mal allgemein: Transzendentalen durch "wissenschaftliche Fakten" zu füllen und gar zu erklären, nein, das ist mir dann doch zu "betonköpfig", auch wenn oder gerade weil es im Gewand eines verständnisvollen Glaubensangebotes daherkommt. Und dasselbe gilt für alles, was uns von den Kirchen als "gottgegeben" verkauft wird. Und dazu gehören für mich auch sogenannte heilige Schriften und gottgefällige Verhaltensregeln.
Die Conditio humana gebietet dem Menschen u. a. nämlich auch, an etwas glauben zu müssen und hinter allem und jedem nach dem 'Warum' zu fragen. Aber ganz speziell der Kreationismus, um den es hier ja geht, macht es sich nicht nur zu einfach, sondern verhindert nachgerade eine geistige Weiterentwicklung in jeder Beziehung, denn - wie gesagt - es gibt ja für alles eine scheinbar ausreichende "Erklärung". Leider nur basieren diese "Erklärungen" auf Annahmen und Voraussetzungen, die auf unsere heutige Welt längst nicht mehr zutreffen. Die aber andererseits so wunderbar allgemein formuliert gehalten sind, daß nach wie vor genügend Spielraum für jegliche manipulative Interpretation von "oben" gegeben ist.

Daß da irgendwann ein Reinigungsprozess oder eine Annäherung stattfinden wird, wie Sie schreiben, Herr Keil, glaube ich nicht. Gut, vielleicht in einer sehr, sehr fernen Zukunft, aber dazu bedarf es vorher einer evolutionären Weiterentwicklung bzw. Umstrukturierung des menschlichen Gehirns - und sowas dauert bekanntlich. Aber bis dahin habe ich einfach keine Lust mehr, Kreationisten, Fundamentalisten und andere verschrobene Ideologieanhänger als Diskussionspartner ernst zu nehmen. Nicht daß ich sie verachten würde (auch bei mir darf wirklich jeder nach seiner Fasson selig werden), aber ein wenig Mitleid habe ich schon mit Menschen, die sich freiwillig den Weg zu weiterführenden, den menschlichen Horizont erweiternden Erkenntnissen verbauen bzw. verbauen lassen.

Meine Lebenserfahrung hat mir darüber hinaus gezeigt, daß es mir nicht gelingen wird, Ihnen auch nur einen einzigen Kieselstein aus dem Weg ihrer (unbeweisbaren) Glaubenssätze zu räumen. Und außerdem fehlt mir der missionarische Ehrgeiz. Diese Einstellung mag radikal und vielleicht sogar ähnlich engstirnig erscheinen, wie die derjenigen, die ich kritisiere, aber diese Freiheit nehme ich mir.

Gruß und schöne Pfingsttage (möge der heilige Geist endlich den menschlichen erleuchten)
HB

Ich schließe mal mit drei wichtigen Buchempfehlungen zu diesem Thema:

Martin Urban:
"Warum der Mensch glaubt - Von der Suche nach dem Sinn"
© 2005 Eichborn Verlag, ISBN 3-821-80761-x, 255 Seiten

Andrew Newberg & Eugene d'Aquili & Vince Rause:
"Der gedachte Gott - Wie Glaube im Gehirn entsteht"
© 2004 Piper Verlag, ISBN 3-492-24138-7, 271 Seiten

Paul Davies:
"Der Plan Gottes - Die Rätsel unserer Existenz und die Wissenschaft"
© 1995 Insel Verlag, ISBN 3-458-33634-6, 300 Seiten



Antworten:



Ihre Antwort

Name:
E-Mail:

Subject:

Text:

Optionale URL:
Link Titel:
Optionale Bild-URL:


[ Antworten ] [ Ihre Antwort ] [ Forum www.hbgl.net ]