Re: religiös ja - fundamentalistisch nein


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Abgeschickt von Egon de Neidels am 16 Dezember, 2007 um 20:00:53:

Antwort auf: Re: religiös ja - fundamentalistisch nein von Harold Heim am 09 Dezember, 2007 um 18:12:00:

Sehr geehrter Herr Heim,

vielen Dank für Ihre Antwort. Ich kann es nicht lassen, auch dazu meine Anmerkungen zu schreiben – was aber keine Kritik an Ihren Beiträgen sein soll:

(Heim) Die Realität sieht anders aus. Ich meine, das deutlich dargelegt zu haben. Es ist, auch hier muss ich das Wort "leider" leider wieder einfügen, zwar richtig, und insofern war Ihre Frage in keiner Weise "frech", dass es wohl kaum noch einen Präsidenten gibt, der allein entscheidet, mal von Diktaturen abgesehen, und auch da wird's so einfach nicht mehr klappen, aber in der Zielrichtung macht es keinen Unterschied, ob er nun "allein" meint, je frömmer wir seien, desto besser wäre es, oder ob er eine Schar Strategen um sich versammelt hat, die diese abstrusen Gedanken in die Tat umsetzen und auch über die nötige Demagogie verfügen, um das "Volk" zu verführen.

(E) Ich versuche zwischen einer Weltanschauung bzw. Religion und deren Instrumentalisierung durch die Politik und dergleichen zu differenzieren. Schaut man sich den historischen Befund an, so „lebt“ keine Religion sehr lange, ohne von Machtinteressen vereinnahmt zu werden, also zu einem ideologischen Vehikel diverser Rechtfertigungen zu „degenerieren“. Für das Christentum war dieser Wendepunkt spätestens im 4.Jahrhundert unter Kaiser Konstantin erreicht. Aber schon zuvor gab es nicht unerhebliche Richtungsstreitigkeiten, deren man mit der Dogmatisierung ganz bestimmter Überlieferungsauslegungen Herr zu werden suchte. Vor allem musste ja festgelegt werden, welche Überlieferung als authentisch zu gelten hat und welche zu verwerfen war. Die Funde sog. Pseudoevangelien in Nag Hamadi geben Zeugnis davon, welche Auffassungen über Jesus und sein angebliches oder tatsächliches Wirken in den ersten Jahrhunderten kurierten und die erste Kanonisierung dessen, was später Neues Testament heißen sollte, wurde lange vor Konstantin von dem später verketzerten Marcion versucht. Selbst das Lukasevangelium gibt schon im ersten Vers darüber Auskunft, dass es „schon viele unternommen hatten, einen Bericht über das, was sich ereignet hat“ zu verfassen. Also – und das dürfen wir mit Fug und Recht annehmen – hatte sich was ereignet. Aber was? Was – und das sollte man sich schon mal fragen – hatte sich ereignet, dass schon sehr schnell dermaßen die Runde machte und zu einer umfangreichen Legendenbildung führte. Was kann das gewesen sein? Wanderprediger und andere, die mehr oder weniger plötzlich angeblich neue Ideen verkünden, hatte es ja fast immer schon gegeben und sie haben nicht zu einer derartigen Resonanz geführt. Es muss an dieser Botschaft, die sich schnell im mediterranen Raum der römischen Antike verbreitet hatte, ja etwas gewesen sein, was drastisch zu den anderen „religiösen Angeboten“ (und das waren keineswegs wenige) nicht nur kontrastierte sondern ganz besonders attraktiv war. Warum ist das nicht nach wenigen Jahrzehnten in sich zusammengefallen so wie in unserer Zeit z.B. die Bewegung um Rajneesh (Bhagwan, Osho) nach dessen Tod in die Bedeutungslosigkeit versank? Selbstverständlich kann man auch Vergleiche mit anderen langlebigen Religionen ziehen, wie etwa den Buddhismus. Doch diese Weltanschauung (genau betrachtet handelt es sich dabei ursprünglich mehr um eine Philosophie als um eine Religion) wurde von ihrem Gründer rd. vierzig Jahre lang verbreitet während der Gründer des Christentums nur 3 Jahre wirkte und zudem einen schändlichen Tod starb. Wir können diese Fragen m.E. nicht eindeutig beantworten sondern nur mutmaßen.
Was wir aber schon sehr früh beobachten können, ist die Parteilichkeit, die sich an das Christentum anknüpfte mit einem Alleinvertretungsanspruch. Ganz einem aristotelischen „Entweder-Oder“ verpflichtet, konnte es nach Ansicht damaliger Menschen offensichtlich nur eine Wahrheit geben und wer sie hatte, erwarb sich anscheinend damit das Recht, andere zu bevormunden oder gar beherrschen. Das eben machte die Sache zuerst für Konstantin und später für andere bis hin zu Mr. G.W. Bush attraktiv. Eine Wahrheit, eine Menschheit – das hat ja was. Nicht anders argumentierten Lenin (der in seinen erkenntnistheoretischen Schriften den Agnostizismus verwarf) und seine Nachfolger, was zeigt, das derlei keineswegs der Transzendenz bedarf. Es geht auch atheistisch. In jedem Fall aber wird dabei der große Fehler gemacht, der in der Ansicht einer schon weitestgehend erklärten Welt besteht und deswegen scheinbar zu eine Verfügungsgewalt berechtigt, deren Resultate wir kennen.

(Heim) Gewiss haben Sie auch darin Recht, dass Reese es ein wenig vereinfacht ausgedrückt haben mag. Natürlich bedarf es gewisser Voraussetzungen, "die" Bombe zu bauen und zu zünden. Es ist aber heute nicht mehr so unwahrscheinlich, dass der entsprechend gläubige Präsident seinem entsprechend gläubigen Adjutanten den notwendigen Befehl gibt. Schließlich verhilft er damit einer großen Menge Menschen, in die verdiente Ewigkeit zu gelangen. Den Gläubigen als Martyrer in den Himmel, den Ungläubigen in die Hölle.

(E) Dass ein fanatischer christlicher Fundamentalist an den Schaltstellen entsprechender Macht den sog. jüngsten Tag selber auslöst, glaube ich weniger – das würde er bei allen Fanatismus vmtl. doch wohl eher seinem Gott überlassen. Bei einem fanatischen islamischen Fundamentalisten könnte dieses anders aussehen. Aber auch hier erlaube ich mir einen gewissen gedämpften Optimismus. Die Zahl der für eine solche Bedrohung vielleicht einmal infrage kommenden Staaten ist klein und klein ist auch ihre nukleare sog. Erstschlagskapazität. M.E. kommen die gar nicht groß zur Auswirkung, da via Satellitenüberwachungen schnell Gegenmaßnahmen greifen würden. Aber es besteht natürlich weiterhin die Gefahr vereinzelter terroristischer Anschläge, die sich in ihrem Vernichtungspotential weiter steigern könnten, jedoch nicht das Ausmaß einer militärischen Invasion erreichen dürften.

(Heim) Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass reale oder vermeintliche Ungerechtigkeiten, die Menschen zu erdulden haben, u.a. Voraussetzungen sind, ein besseres, zweites Leben als erstrebenswert anzusehen. Interessanterweise aber setzt ein U.bin Laden sein Wissen und sein Geld, das er unbestreitbar hat, nicht dazu ein, auf friedliche Art und Weise das Leben seiner Mitmenschen zu ändern, sondern nimmt billigend in Kauf, dass durch irgendwelche Attentate der "Kollateralschaden" unter den Rechtgläubigen erheblich ist. Der Denkprozess, dass mit Festhalten an mittelalterlichen Denkweisen ein materielles Wohlbefinden nicht wird zu erreichen sein, hat noch nicht einmal ansatzweise eingesetzt.

(E) Richtig - und ausdehnbar auf die anderen z.T. superreichen Saudis, denen es nach ihrer eigenen Religion Verpflichtung sein müsste, ihren armen Glaubensgeschwistern zu helfen. Aber da sind diese Leute nicht anders als die reichen Christen, usw.

(Heim) Und so betone ich noch einmal, dass ich Ihre Gedanken, Herr de Neidels, bis vielleicht auf das Bejahen eines Gottes, "unterschreiben" könnte.

(E) Ich bejahe strictu sensu keinen Gott – ich schließe ihn nur nicht aus, d.h. ich bejahe die Möglichkeit eines Gottes, oder - besser - von „etwas“, was unseren Horizont übersteigt. Und das ist schon bei so simplen Experimenten wie beim Elektronenbeschuss eines Detektorschirmes durch eine mit zwei Spalten versehenen vorgeschalteten Blende „ersichtlich“. Hier zeigt sich m.E. in praxi schon das Tetralemma des buddhistischen Philosophen Nagarjuna, denn vor der Dekohärenz haben wir es weder mit einer Welle noch mit einem Teilchen noch mit beiden zusammen noch mit keinem von beidem zu tun, sondern nur mit einem Wahrscheinlichkeitspotential. Dekohärenz – der Zusammenbruch des Wahrscheinlichkeitspotentials – findet dauernd statt. Wir leben in einer Welt der Dekohärenz, aber wir wissen, dass die Voraussetzung dafür ein Potential ist – eine uns unbegreifliche Welt, die andauernd diese Welt hervorbringt. In seinem Brief an die Römer schrieb Paulus (Röm. 14, 14): „Ich bin im Herrn Jesus fest überzeugt, dass an sich nichts unrein ist. Nur wer etwas für unrein hält, für den ist es unrein.“ „An sich“ – das erinnert an buddhistische Aussagen, an eine Art statu nascendi oder eben auch an das Wahrscheinlichkeitspotential, das die Buddhisten „Leerheit“ nennen.

(Heim) Nur die Existenz der von den Blindgläubigen ausgehenden Gefahr, und nur auf sie hatte ich ja in meinem Beitrag als von HvD nicht erwähntem Aspekt hinweisen wollen, haben Sie nicht widerlegen können.

(E) Was HvD betrifft, empfehle ich Ihnen sein Buch „Wir sind nicht nur von dieser Welt“. Darin kritisiert HvD sehr deutlich den sog. Kreationismus. Daraus ergibt sich für mich implizite auch die Warnung vor Blindgläubigkeit. Dass Blindgläubigkeit eine Gefahr darstellt, ist korrekt. Ich habe mal einen fundamentalistischen Christen – also einem, der die Texte der Bibel sämtlich möglichst wortwörtlich auffasst – etwas in Verlegenheit gebracht mit der Feststellung, dass sein absoluter und nicht zu hinterfragender Glauben an die Unfehlbarkeit der sog. Heiligen Schrift ja auch den Glauben an einen kindertötenden Gott des Alten Testaments impliziert und das er derlei – was er wie jeder andere natürlich verabscheut – ja bejahen und gutheißen müsste, wenn er alles so glaube, wie es geschrieben stehe. Daraufhin kam nicht viel mehr als ein Achselzucken, dass Gottes Taten nicht von uns hinterfragbar sind und das man als Christ ja nicht unter den Maßstäben des Alten Testamentes zu leben habe. Dass aber nach seinem eigenen dreieinigen Glauben der Kindestöter mit Jesus Christus identisch sein müsse, war ihm nicht ganz begreiflich. Komme ich aber mit meiner Auffassung, dass erstens lt. archäologischem Befund (gemäß Finkelstein) diese Kriege des Volkes Israel vmtl. gar nicht stattgefunden haben und daher die Berichte wohl eher eine frühe Form abschreckender Propaganda oder ähnliches darstellen und zweitens Jesus ja gerade wegen seiner unverhohlenen Kritik der Maßstäbe des AT bekämpft und schließlich getötet wurde, ernte ich Ablehnung bzw. Ignoranz.

Mit freundlichen Grüßen
Egon de Neidels




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