Re: Wieviel Utopie ... Evolution des Religiösen


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Abgeschickt von Heinz Boente am 09 Maerz, 2008 um 13:27:04

Antwort auf: Re: Wieviel Utopie ... Evolution des Religiösen von Walter Keil am 09 Maerz, 2008 um 00:49:20:

Hallo Herr Keil,

Sie kennen mich lange genug um zu wissen, daß ich die Aussagen in Ihrem letzten Betrag nicht als respektlos ansehe. Auf keinen Fall. Und Sie wissen auch, daß ich mich, bei aller Diskussionsfreude und ganz natürlichen gelegentlichen Kontroversen, selber immer sehr um Sachlichkeit bemühe. Deshalb denke ich, wenn wir Ihr Thema "Die Evolution des Religiösen" hier weiter sinnvoll diskutieren wollen, dann müssen wir uns zunächst darauf einigen, mit was genau wir uns befassen möchten. Ihrer Themenstellung nach doch sicherlich nicht mit dem Weg des Christentums in den letzten gut 2000 Jahren. Und sicher doch auch nicht mit den Schriften des Alten Testamentes oder mit den Ideen des Buddhismus im Vergleich zum Hinduismus oder irgendwelchen anderen Glaubensrichtungen. Auch bescheidene Reformversuche vereinzelter Denker sind bestimmt nicht gemeint. Da diskutieren wir in der Tat aneinander vorbei, denn die grundsätzliche Betrachtung des menschlichen Glaubens (wie ich es in meinem Beitrag versucht habe, auch wenn ich unter diesem Aspekt auf einige Ihrer Gedanken eingegangen bin) unterscheidet sich ganz wesentlich von seinen Auswirkungen (die Sie offenbar meinen). Ein Bogenschlag, wie Sie ihn angesprochen haben, ist da gar nicht möglich.

Deshalb bleibe ich bei meiner Aussage, daß es bei Glaubensgemeinschaften (speziell bei den monotheistischen) keinerlei Evolution in diesem Sinne gegeben hat und ich befürchte auch in absehbarer Zeit nicht geben wird. Es haben sich einige "Spielarten" ausgebildet, es sind kleinere Modifikationen vorgenommen worden, aber evolutioniert hat sich da gar nichts. Und wenn Sie die Frage stellen "War die Abschaffung der Inquisition und Luthers Reformation ein nichts?" dann mag diese bei einseitiger Betrachtungsweise ausschließlich des Christentums berechtigt sein, hat aber aus "globaler", allgemeiner Sicht keinerlei Relevanz.

Wie würden Sie denn die heute mehr denn je höchst gefährliche und menschenverachtende Aufforderung an die Muslime bezeichnen, alle "Ungläubigen" auszurotten (vgl. Koran [8,40] "Bekämpft sie, bis alle Versuchung aufhört und die Religion Allahs allgemein verbreitet ist.")? Das ist doch Inquisition reinsten Wassers, oder? Und wie sind die "Reformationsversuche" einzelner Glaubensgemeinschaften zu sehen, beispielsweise wieder zu einer fundamentalistischeren Sichtweise des Christentums zurückzukehren? Oder gar etwas ganz Neues zu kreieren? Letztlich doch nur ein reines Mengenproblem, d. h. sobald sich genügend Anhänger einer solchen Sichtweise finden, wird sie akzeptiert. Dieses Beispiel hinkt, ich weiß, aber warum sind die Scientologen in den USA als Religionsgemeinschaft ganz offiziell anerkannt und akzeptiert? Ganz einfach: weil sie dort Millionen von Mitgliedern samt den entsprechenden Galionsfiguren haben.

Ich mache aus meinem, auf jahrzehntelangen sorgfältigen Überlegungen basierenden Atheismus kein Hehl, und ich hege auch keinerlei missionarische Gedanken, jemanden zum Nichtglauben bekehren zu wollen, aber wenn ich alle Vor- und Nachteile von Religionen nüchtern, sachlich und emotionsfrei gegeneinander abwäge, dann komme ich zu dem Schluß, daß - zugegeben, sehr stark verallgemeinernd - die Menschheit ohne den Hang zum Religiösen besser dran wäre.

Natürlich gibt es Fragen, auf die nur ein Glaube eine Antwort geben kann ("Was war vor dem Urknall?" oder "Was wird nach meinem Tod mit mir geschehen?"), und diese Fragen mag sich jeder selbst so beantworten, wie es ihm genehm scheint, aber allgemein ethische und moralische Verhaltensweisen unter den Mitgliedern derselben Gattung haben nicht die Religionen erfunden, sonst gäbe es uns Heutige gar nicht. Ich gestehe sogar zu, daß eine religiöse Grundhaltung aus evolutionärer Sicht äußerst nützlich und hilfreich bei der Entwicklung zum Homo sapiens gewesen ist (Förderung des Gruppenzusammenhalts, Vermehrung des eigenen Stammes, Abgrenzung zu anderen... usw. alles ganz hervorragende evolutionäre Mechanismen - ich verweise in diesem Zusammenhang noch einmal auf den Auszug aus dem Buch "Der nackte Affe" von Desmond Morris, zu lesen unter www.hoimar-von-ditfurth.de/morris_nackteraffe_religion.pdf), aber wir reden heute allenthalben von Globalisierung, Kooperation, Weltgemeinschaft usw. und da sind religiös motivierte, weltanschauliche Ab- und Eingrenzungen, wie sie jede Religion per Definition beinhaltet doch sogar eher hinderlich bis gefährlich. Der Begriff "Weltanschauung" besagt es ja schon: so und nicht anders schaue ich die Welt an, d. h. ich ignoriere unbewußt, bewußt oder - am allerschlimmsten - durch andere beeinflußt wesentliche Teile der mich umgebenden Realität.

Ich bin überzeugt, Herr Keil, wenn wir uns auf ein Teilgebiet einigen, können wir hier fruchtbar weiterdiskutieren und sicherlich viel voneinander lernen (auch ohne uns gegenseitig überzeugen zu wollen).

Auch Ihnen einen freundlichen Gruß
HB



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