Gefühl und Verstand


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Abgeschickt von Peter Niemann am 07 August, 2011 um 11:51:56

Sehr geehrter Herr Keil,

ich erinnere mich noch gut: Wenn man als Kind eine Erkenntnis nach langer sorgfältiger Prüfung an eigener Erfahrung und nach Auswertung aller erreichbaren Informationsquellen für sehr sicher hält, dann wird sie ins Unbewußte übernommen - wird zum Gefühl - und gerät als bewußte Meinung allmählich in Vergessenheit - und steuert die Person - ob die will oder nicht. Genauer: Je nach dem vom freien Willen eingestuften Gewißheitsgrad der Erkenntnis wird die daraus abzuleitende Handlung dem freien Willen entzogen. Beispiel: Bei 100% Erkenntnisgewißheit wird das Kommando für die aus der Erkenntnis abzuleitende Handlung vollständig dem freien Willen entzogen, wird, wenn man so will, zur Zwangshandlung. Das negative Image dieses Begriffs ist eigentlich unangebracht, da der Vorgang ja auf eine automatische, also den Verstand entlastende, auch schnellere und jedenfalls richtige Steuerung der Person zielt, die auch eintritt, wenn - ja wenn die Überlegungen und die von außen eingeholten Informationen, die einst zu der Erkenntnis geführt hatten, richtig waren und es noch sind.

Nebenbei gesagt: Daraus läßt sich schließen, daß eine "Geisteskrankheit" allein durch von außen aufgenommene Fehlinformationen und Denkirrtümer verursacht werden kann und keine endogenen - "materiellen" - Ursachen haben muß. Irresein hat etwas mit "sich irren" zu tun.

Es werden also für häufig wiederkehrende Anforderungen fertige Reaktionsprogramme geschaffen, die bei Auftauchen der entsprechenden Anforderung sofort automatisch abgerufen werden. Dadurch wird der bewußte Verstand frei für die Feineinstellung auf die aktuelle einmalige Situation, die nicht im Speicher vorliegen kann. (S.auch A.Görres: Psychoanalyse, S.184. Auch HvD hat sich mit dem Thema ausführlich beschäftigt).

Der Mensch hat also Meinungen, Überzeugungen, Willensinhalte auf der Gefühlsebene genauso wie auf der Verstandesebene. Stimmen beide überein, ist er eine harmonische Persönlichkeit, die sich auf ihre Gefühle verlassen kann und - ehrlich zu sich selbst - in einer aktuellen Situation gemäß den einst als gut gesichert angesehenen Erkenntnissen handeln wird, unabhängig allerdings davon, ob die mit allgemein anerkannten Moralgeboten übereinstimmen oder nicht.
Ein Mensch, der mit sich "im reinen" ist, weil unbewußte und bewußte Meinungen übereinstimmen, fühlt sich wohl. Gibt es dagegen Widersprüche zwischen beiden Ebenen, stellt sich ein klärungsforderndes Unbehagen ein. Das ist sinnvoll, denn der Mensch ist im Interesse eines guten Überlebens auf eine zutreffende Kenntnis der Wirklichkeit angewiesen, und die beiden Meinungen können nicht gleichzeitig richtig sein.
Um sie in Übereinstimmung zu bringen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man paßt die bewußte Meinung der unbewußten an - etwa durch selektive Wahrnehmung - oder die unbewußte der bewußten. Das allerdings ist unendlich schwerer und langwieriger - wie es ja einst auch deren Aufbau war.
Denn zunächst müßte man erkennen, welche unbewußten Anschauungen und Willenshaltungen da eigentlich vorliegen und woher die kommen. Diese sich einzugestehen ist besonders schwer, wenn es sich um Überzeugungen handelt, die im Widerspruch zu allgemein anerkannten Moralvorstellungen oder "wissenschaftlichen" Erkenntnissen stehen. Man erkennt sie noch am ehesten, wenn andere Menschen sie äußern. Deshalb ist Meinungsfreiheit so wichtig. Als nächstes müßte entschieden werden, welche der bewußten und ehemals unbewußten Meinungen richtig sind und welche falsch - eine schwierige Aufgabe, wenn es sich dabei um miteinander konkurrierende philosophische Konstrukte handelt. Noch am einfachsten wäre vielleicht die Ermittlung erstrebenswerter Willenshaltungen.
Was aber geschieht mit einem Menschen, dem es nicht gelingt, gravierende Fehlprägungen zu korrigieren? Das ist ein großes leidbeladendes Kapitel, das hier jetzt nicht behandelt werden soll.

Es gibt Menschen, die kämpfen mit Klauen und Zähnen um die Anerkennung ihrer Meinung. Manchmal haben sie recht. Aber manchmal geht es ihnen dabei nicht um die Wahrheit, sondern um ihre innere Harmonie.
Und jetzt höre ich schon den Marc: "Dieser Psychofatzke soll erstmal seinen mechanistisch-reduktionistischen Schwachsinn vom Arzt behandeln lassen, bevor er hier Leute belehren will!"
Sie, Marc, unterstellen, ich hielte meine Thesen für eine vollständige Beschreibung der Wirklichkeit. Das bestreite ich. Aber - zugegeben - das war einmal so, und sollten davon noch Teile übrig sein, dann müßte ich Ihnen für Ihre Kritik eigentlich dankbar sein.
"Die Selbstkritik hat viel für sich . . . " sagt Wilhelm Busch.
Ach - hätten Sie Ihre Kritik doch nur sachlich und detailliert vorgebracht!

Hoimar von Ditfurth bezieht sich bei der hier angesprochenen Thematik anscheinend mehr auf die gesamte menschliche Art als, wie ich, auf das individuelle Einzelschicksal. Ich habe aber bis jetzt nur das Apfelbäumchen- und das Artgenossenbuch vollständig gelesen. Das Lesen und Verstehen von Hoimars Büchern verlangt von einem "Außenseiter" viel Zeit und Mühe.

Zu WBB: Ich höre ihn auch gern mit 80%-Geschwindigkeit. Der wilde Bob wird dadurch etwas zahmer. Alles gefällt mir nicht mehr von ihm. Ach so - das Thema hatten wir ja schon . . .

Peter Niemann , 10178 Berlin.



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