Meine Gedanken zum Problem - schnell skizziert


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Abgeschickt von Egon de Neidels am 01 September, 2007 um 21:13:24:

Antwort auf: Wiederentdecken des von Harold Heim am 10 August, 2007 um 14:26:12:

Hallo Zusammen,

ich habe lange überlegt, ob ich zum Thema „Apfelbäumchen“ etwas schreiben sollte. Alles wesentlich wurde ja hier schon geschrieben und vielem ist zuzustimmen.

Mir fällt die Osterinsel ein. Genauer: Mir fällt eine der kurzen TV-Sendungen „Geist und Gehirn“ ein, in denen sich Manfred Spitzer bemüht (ich finde, er macht seine Sache gut), dem Laien die Funktionen unserer Gehirns zu erklären. Die Bewohner dieser Insel haben sich ruiniert und dezimiert, indem sie den Baumbestand der Insel vernichteten und die Frage lautete, warum wurde sozusagen auch noch der letzte Baum gefällt? Warum wurde sehenden Auges buchstäblich der Ast abgesägt, auf dem die Menschen saßen?

Die einst palmenbewachsene Osterinsel wurde um ca. 900 n. Chr. durch einige Menschen besiedelt und erlebte um ca. 1300 ihre Blütezeit mit rd. 20.000 bis 30.000 Einwohnern. Als Cook im 18. Jahrhundert die Osterinsel betrat, fand er nur noch wenige und ausgemergelte Menschen vor. Um 1850 waren es nur noch ca. 150 Menschen, die dort lebten. Was war geschehen?

Die Antwort findet sich in dem, was uns zuerst einfällt, wenn wir an die Osterinsel denken. Es sind diese im Durchschnitt vier Meter hohen eigenartigen Statuen, die rings um die Insel, quasi an ihren Rändern, mit dem Rücken zum Meer offensichtlich zu kultische Zwecken von ihren Bewohnern aufgestellt wurden. Sie wurden mit steinzeitlichen Methoden aus Vulkangestein gefertigt und mit Holzschlitten transportiert. Man schätzt, dass zu ihrer Produktion ca. 25 % des wirtschaftlichen Gesamtaufwandes verwendet wurde, d.h. v.a. viel Holz. Die Folge waren ein rapider Rückgang des Baumbewuchses und damit Erosion und Verschlechterung des Ackerbaus. Die im magisch-kultischen Denken be- und gefangenen
Bewohner der Osterinsel erkannten die Kausalzusammenhänge zwischen Statuenbau und Erosion nicht. Im Gegenteil, je größer die Not, desto größer mussten die Statuen (bis 20 Meter) werden – auch in Hinblick auf die Autorität der Stammesfürsten. Kultische Handlungen sollten die Not abwenden. Tatsächlich aber vergrößerten genau diese Handlungen die Not noch, indem sie die Angst steigerten. Man hat herausgefunden, dass zu kultischen Handlungen den Figuren aus Korallen und Steinen gefertigte Augen eingesetzt wurden. Diese Augen wurden mit einem weißen Rand dargestellt, was bei ihrem Anblick eine automatische Furchtreaktion auslöst (man denke an die weit aufgerissenen Augen eines Menschen beim Anblick einer großen Gefahr – das Weiße wird rundherum sichtbar).

Wir haben es mit einem stammesgeschichtlich erworbenen Reaktionsmuster zu tun. Der Anblick bestimmter Signale ist uns tief eingeprägt in sog. subcortikale Strukturen – hier die Amydala (Mandelkern) im limbischen System. Dieses ist sehr sinnvoll, da bei Gefahr – z.B. beim Anblick eines Säbelzahntigers – sofort ohne Nachdenken reagiert werden muss. Die Amygdala „begnügt“ sich mit einfachen Kernsignalen um die Stresskaskade (Hypophyse, Releasinghormon, Nebenniere, Adrenalin) auszulösen, die dann z.B. zum Fluchtverhalten führt. Die Bewusstwerdung und Verarbeitung erfolgt deutlich später durch das laterale Denken. Salopp gesagt: Die Signale treffen in der Amygdala unter Umgehung der nur im Neocortex stattfindenden Bewusstwerdung früher ein als im visuellen Cortex, von dem sie dann noch über verschiedene Areale bis zum präfrontalen Bereich gelangen müssen um erst dort zu einer sinnvollen erkennbaren Struktur erkennbar zu werden.

Diese ganzen Details müssen uns hier nicht näher interessieren. Wir konstatieren hier wesentlich das, was der große Wissenschaftsjouralist und Humanist Hoimar von Ditfurth selbstverständlich wusste (zumal von Haus aus Mediziner) und auch schon benannt hatte. Wir befinden uns im Konflikt mit uns selber, mit unserem stammesgeschichtlichen Erbe. Es scheint ein Abgrund gespannt zwischen Jahrmillionen bewährten Reaktionsmustern und der nur wenige Tausend Jahre währenden soziokulturellen Evolution. Dieses geht uns alle an und es erscheint mir daher auch wenig zweckmäßig, mit Schuldzuweisungen zu argumentieren. M.E. sind Schuldzuweisungen nie ganz frei von Schuldprojektionen, von – auch wieder neurobiologisch erklärbarem – Verhalten. Würde ich mit Schuldzuweisungen argumentieren, so müsste ich ganz besonders gegen die römisch-katholische Kirche polemisieren (was ich zuweilen auch schon mal tat), die ja auf ihre Art via Kult und Dogma durchaus mit dem Osterinselproblem Vergleichbares praktiziert. Ich meine das Verbot künstlicher Verhütungsmittel. Hier wird ja auch mit der Angst vor Hölle und Fegefeuer den Gläubigen suggeriert, sich den Anweisungen eines Gottesstellvertreters zu fügen, wenngleich hier keine direkten Reaktionsmuster greifen – obwohl „Pomp and Circumstances“ im Ritual, sowie von früher Jugend installierte Konditionierung sicher auch subkortikalen Wirkungen entfalten. Denn es ist m.E. die unkontrollierte Vermehrung unserer eigenen Spezies der Problempunkt Nr. 1, der uns vmtl. ein zukünftiges Desaster beschert. Mit der nicht linear anwachsenden Weltbevölkerung wächst auch deren Bedarf und dieser ist es in erster Linie, der zu all den ökologischen Katastrophen führt, die wir schon erlebt haben und noch erleben werden.

Wie kann dem sinnvoll begegnet werden?

Eine Reduzierung der Familiengröße auf Elternpaare mit nur einem Kind für die nächsten 25 Jahre würde Abhilfe schaffen, ist aber wegen tief eingewurzelten Verhaltens kaum realisierbar und gerät ja auch – wie kurz angedeutet – mit religiöser Dogmatik in Konflikt.

Einbringung eines hedonistischen Hubs v.a. in Drittweltländern. Ja, komischerweise scheint die sog. Spaßgesellschaft zu einem Geburtenrückgang zu führen. Dazu gehört auch die völlige Enttabuisierung aller nicht fruchtbar wirkenden Sexualpraktiken – selbstverständlich unter Berücksichtigung d.h. Wahrung des Kinder- und Jugendschutzes und der Freiwilligkeit. Wir kehren einfach den alten Fruchtbarkeitsimperativ um, der zu den einstigen und damals auch sinnvollen Tabus führte. Erschließung ganz neuer Freuden durch Cybertechnologie, usw. Aber auch Nutzung traditioneller Yogatechniken, allerdings ihren religiösen Dogmen entkleidet. Wer was erreichen will, wird mit ahedonischen Ideen scheitern, es sei denn, er bindet solche an große Angst und landet dann wieder im Althergebrachten.

Technologie ist natürlich das A und O für eine positive Zukunftsgestaltung. Ich denke da nicht nur an den Ausbau und die Erschließung neuer Energiequellen sondern an eine quantensprungartige Verbesserung von Wirkungsgraden bei dem Recycling durch die Nanotechnologie. Hier sind aber auch globale konzertierte Aktionen notwendig, die z.Z. an der ewigen nationalen Eigenbrödelei scheitern.

Aber alles das sind auch nur schnell hingeworfene Statements, denn die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt etwas in einem erforderlichen globalen Unfang geschieht, was auch noch unsere Ururenkel in einer halbwegs lebenswerten Welt zu existieren erlaubt, ist nach heutigem Stand eher gering. Es ist diese Widersinn, eine ganze Welt gestalten zu können, aber davon aus irrationalen Gründen keinen Gebrauch zu machen. Der Australopithecus in uns wird uns erschlagen. All unserem Denken laufen ja an physikalische Gegebenheiten gebundene Prozesse in unseren Hirnen voraus, so dass wir letztlich doch wohl auf erschreckende Art determiniert sind – auch wenn sich unser Stolz noch so sehr dagegen auflehnen mag. Unser armseliger Stolz! Stark angeschossen schon von Kopernikus, Darwin und Freud verliert er z.Z. auch noch seine letzten metaphysischen Bastionen, den freien Willen, den Geist, die Seele. Aber vielleicht liegt gerade darin eine unerwartete Hoffnung. Denn geht mit diesen erbarmungslosen Analysen nicht auch ein völlig und auch ein in besonderem Maße zu den desolaten Bedingungen führendes falsches Selbstverständnis zugrunde? Kann es gerade durch diese Bewußtmachung unseres tierischen Erbes nicht auch zu einer völlig neuen und ökologischen Sicht auf die Dinge kommen? Denn es bricht ja mit unserem Stolz auch unsere Position eines „selbstherrlichen“ Gegenübers zur Natur zusammen.

Dieses Gegenüber erleben wir infolge eines Vorganges, der nicht die Welt oder Teile davon abbildet sondern (re)konstruiert. Es ist immer nur dieses Konstrukt, mit dem wir es zu tun haben. Auch das war HvD natürlich bewusst, als er schrieb, dass wir nicht in der Welt leben, sondern in dem Bild, welches wir von ihr haben. Das natürliche Farbspektrum kennt z.B. die Farbe Braun nicht, sie ist ein eigenes Hirnkonstrukt – ganz abgesehen davon, dass natürlich alle Farben Hirnkonstrukte sind (da „draußen“ ist nur ein elektromagnetisches Frequenzspektrum), sich von ihnen aber einige physikalisch in der „Außenwelt“ bestätigen lassen und andere nicht. Unser ganzes bewusstes Sein ist ein Hirnkonstrukt, ganz besonders das, was wir Ich nennen. Dieses erschafft (bei Tieren und Säuglingen als Proto-Selbst) jene spezifische positionelle Verortung einer subjektiven Singularität in Raum und Zeit, mit der wir mit unserer Umwelt in Dialog treten. Aus diesem Dialog erwächst aber nichts wahrhaft Objektives sondern die für jede Art spezifische Intersubjektivität. Jede Art lebt in ihrer Welt. Auch das wurde von HvD in „Der Geist fiel nicht vom Himmel“ ganz hervorragend dargestellt. Ich erinnere nur an die Beispiele mit der Zecke und dem Hahn. Wir haben uns aber mit unserem intersubjektiven Weltbild in mancherlei Hinsicht von der übrigen Natur entfernt. Damit sind nicht die via Evolution erreichten qualitativen „Ebenen“ gemeint, sondern die zunehmende Ignoranz gegenüber dessen, aus welchem wir entstanden. Es war wohl die Tragik des frühen Menschen, in den ihm übermächtig erscheinenden Naturgewalten das Tun höherer Wesenheiten zu vermuten. Dieses führte dann vmtl. zu einem Denken in Analogieschlüssen, welche aus der Schaffenskraft des Menschen auf eine gleichermaßen mächtigeren Schaffenskraft höherer Wesenheiten schlossen. Damit war der Bruch zwischen Mensch und Tier gewissermaßen besiegelt. Der Mensch „erfuhr“ sich als separates Wesen, von Gottheiten erschaffen, um ihnen zu dienen. Dieses generierte eine Intersubjektivität, die bis zu den sog. Hochreligionen unserer Zeit reicht. Die nicht zuletzt einen philosophischen Dualismus hervorbrachte, der eine „Wahre Welt“ des reinen Geistes oder ein lichtes Jenseits idealisierte, demgegenüber das aktuelle Leben zu einem am Ende unwichtigen Jammertal verblassen sollte. Selbstverständlich hatte man sich auf die Seite des Ideals zu stellen und geriet damit in einem Gegenüber zur schnöden Materialität des Daseins. Das sich im natürlichen Dialog mit der Umwelt befindliche Selbsterleben wurde zum auserwählten, zum Diktate über die Umwelt berufenen Ich. Nicht mehr Tier sei er, aber auch noch nicht Engel – so wurde der Mensch gesehen. Oder – bei Nietzsche – als Seil zwischen Tier und Übermensch. Nichts davon ist wahr außer diese Überheblichkeit, diese Sucht mit der Umwelt (und damit letztlich mit dem Sein oder der Existenz an sich) zu kontrastieren. Alle Gehirne weisen dieselbe Grundstruktur auf, schon bei Haifischen gibt es Hirnstamm, Kleinhirn, Mittelhirn, Zwischenhirn und Endhirn, wenn v.a. letzteres auch nur als eine Art Riechknospe. Und niemand kann ein unter dem Mikroskop liegendes Neuron einem bestimmten Lebewesen zuordnen – sie sind einander gleich. Lediglich die besondere Art und Weise der Verschaltung, d.h. der spezifischen Synapsenwichtungen in ganzen Neuronenpopulationen und v.a. nur im Gesamtbild eines bestimmten Gehirns vermag Aufschluss darüber zu geben, mit welchem Lebewesen wir es zu tun haben.

Wozu das ganze Geschreibsel? Wozu diese Hinweise, die uns doch nur darauf hinweisen sollen, dass wir letztenendes Tiere sind und keine mythologischen Paradiesflüchtlinge oder teleologische Kandidaten für Supermenschen? Der Zweck ist das Herunterreißen einer Maske, die uns schon lange nicht mehr gut zu Gesicht steht. Eine Maske, die ironischerweise ein katholischer Mönch, Franz von Assisi, nicht kannte, als er alles und jedes als seine Brüder und Schwestern ansah.

Ohne Bewusstwerdung kein Fortschritt.

Soweit meine Einlassung. Wurde etwas lang und wird hier so hineingestellt, wie soeben geschrieben. Pardon für meine etwas „narrative Ader“.

Gruss
Egon de Neidels




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