Wir nehmen die Oberfläche wahr - nicht den Grund


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Abgeschickt von Egon de Neidels am 08 Oktober, 2009 um 06:43:41:

Antwort auf: Re: Zuviele Probleme vs. Optimismus von Walter Keil am 08 Oktober, 2009 um 00:12:49:

Hallo Herr Keil,

da muss ich doch vor meiner Abfahrt unbedingt noch was zu schreiben. Zunächst: Ich freue mich sehr über Ihre Offenheit. Derlei Dinge traut man sich ja oft nicht zu schreiben in der Furcht, ganze Horden von Rationalisten würde über einen herfallen. Und wenn Sie das in einem atheistisch-materialistischen Forum mit unsensiblen Moderatoren veröffentlicht hätten, wäre vmtl. schon der erste Spötter aufgetreten.

Naturwissenschaftlich halte ich es da eher mit dem Agnostizismus, einer Haltung mit „offenem Dach“: Es gibt eben mehr Dinge, als wir zu erklären imstande sind. Das zeigt auch, dass wir die Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit noch nicht erreicht haben oder aber, das es „Einbrüche“ aus einer viel größeren Welt gibt, als uns normalerweise zugänglich ist. C.G. Jung sprach in Ergänzung zur etablierten und erfolgreichen Kausalitätslehre auch von sog. Synchronizität, dem sog. sinnvollen Zufall. Wie das funktioniert, wissen wir (noch?) nicht, aber es scheint auch in der Evolution vorzukommen in Gestalt sog. irreduzierbarer Komplexitäten (IC – man kann kein Teil wegdenken ohne das die Funktion entfiele; das schränkt eine rein gradualistische Evolution ein). Darauf berufen sich in erster Linie zwar Vertreter des sog. intelligent Design (wie M. Behe), aber man kann das auch als Evolutionsphänomen ohne Designer (dieser wäre m.E. auch eher eine anthropomorphe Projektion – Gott ist kein Reißbrettkonstrukteur sondern – so es ihn gibt – ein Freund der freien spielerischen Selbstgestaltung) denken. Hoimar von Ditfurth ist übrigens einem totalen „Kausalitätsloyalismus“ ebenso skeptisch gegenübergestanden wie auch einer überzogenen und verabsolutierenden Sicht des Energieerhaltungssatzes. Seine Weltsicht war offen.

Das „Geführtwerden“ ist übrigens alles andere als irrational – es ist die Regel. Nur ist sich darüber kaum jemand bewusst. Seit den Experimenten von Benjamin Libet wurde ja immer weiter geforscht und heute können wir sagen, dass wir vom Thron unserer egoistischen Selbstherrlichkeit herabsteigen sollten, weil sich sowohl das Ich als auch der sog. freie Wille als Zuschreibungsinstanzen oder –mechanismen erwiesen haben, die erst nach einer ganzen Kette von neuronalen Ereignissen im Gehirn auftauchen. Da aber selbst das Hirn in unserer Untersuchung nur als Hirnkonstrukt auftaucht, wissen wir nichts über das „wahre Gehirn“. Denn die Tatsache, dass wir nicht in der Welt leben, sondern in dem Bild, welches wir von ihr haben, gilt selbstverständlich auch für unsere Forschungen am Gehirn. Daher ist m.E. der Naturalismus offen für die Transnatur (an eine Übernatur glaube ich nicht), über den wir aber leider nichts aussagen können. Im Gegensatz zum Agnostizismus halte ich den Atheismus für falsch, denn er macht negierende Aussagen über die Welt, welche er nicht belegen kann und ist somit selber (Anti)Glauben.

Ich habe mich nach langen Jahren der Ablehnung, ja Feindschaft gegenüber biblischen Texten, die sich gewisser traditioneller Exegesen verdankt, wieder diesem Buche zugewendet und finde in Aussagen wie die des Paulus, dass nicht mehr er lebe, sondern Christus in ihm, eine frühe, geahnte Bestätigung neurobiologischer Sachverhalte. Es ist auch interessant, das „das Böse“ meist in Gestalt von Schlangen oder Drachen auftaucht. Das ist insofern interessant, weil tatsächlich uralte, heute meist hinderliche „Programme“ in unseren Hirnen in Bereichen stecken, die durch anatomischen Vergleich mit Reptilienhirnen als mögliche Antriebsinstanzen für primitive und aggressive Verhaltensmuster identifiziert werden können. Das in der Offenbarung geschilderte Auftauchen von reptilischen Wesen aus dem Meer könnte das Eindringen alter destruktiver Impulse aus den Unbewussten (limbische Bereiche) in die Bewusstheit darstellen. Es ist so gesehen daher besser, man „überlässt“ das Unbewusste dem sanften Lamm – was man aber nicht willkürlich kann. Daher wurde das Gebet erfunden als vielleicht subliminaler Zugang. Aber das ist nur meine Hypothese. Einem naiven „Sich öffnen“ z.B. durch Mittel der Tranceinduktion sollte man übrigens mit einer gewissen Vorsicht gegenüberstehen – man kann nicht wissen, was da zutage treten kann.

Sie sind der Strom Ihrer Nervenbahnen. Das ist eine m.E. sehr gute Beschreibung, denn damit legen Sie den Fokus auf Prozesse bzw. Taten und nicht auf einen Täter. Wie der Buddha schon sagte: „Dinge geschehen. Es gibt keinen Täter, nur Taten.“ (Humorvoll gemeinter Klammersatz: Für eine evtl. Verteidigungsrede vor Gericht taugt das nicht, denn der Richter, der verurteilt, ist auch kein Täter. Was für alle gilt, kann keiner für sich alleine reklamieren.)

Soweit.

Mit freundlichen Grüßen
Egon de Neidels




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