Re: Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel


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Abgeschickt von Henry Grimmer am 19 Oktober, 2009 um 15:20:02

Antwort auf: Re: Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel von Klemens Taplan am 17 Oktober, 2009 um 20:32:33:

Tja, Herr Taplan, Walter, wer denkt? Bin ich - und wenn ja, wie viele?

Zunächst hoffe ich grundsätzlich, der Mensch möge einen freien Willen haben, das ist eine Frage
der Identität, ohne freien Willen könnten wir auch gleich das Ich infrage stellen (wird ja wohl auch
getan). Auch könnten wir uns jede Diskussion sparen, wenn alles determiniert bzw. fremdbestimmt
(was nicht identisch ist) wäre. (Ich finde es übrigens bemerkenswert, mit welcher Begeisterung Menschen es als gegeben hinnehmen, wenn ihnen gesagt wird, sie hätten keinen eigenen Willen) Selbstverständlich aber schafft unser Hoffen aber keine Fakten aus der Welt.

Ich stimme Ihnen zu, Herr Taplan, dass wir bei Weitem nicht so tief in der Materie stecken wie die entsprechenden Wissenschaftler, das heißt, man muss die Informationsquellen breit gestreut suchen. Damit stehen wir aber nicht allein, das wird von Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachgebiete nicht anders gemacht.

Die Rose. Es gibt ein intuitives (poetisches) Verständnis dessen, was eine Rose ist (Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose – Gertrude Stein, glaube ich), und mit allem Wissen um innere Prozesse und Erbanlagen und Befruchtung usw. wird sich an dem, was sie ist, nichts ändern. Man kann aber auch sagen, dass ein jedes Dazu zwar nicht die Rose verändert, aber mein Verständnis über sie, was meine Bewunderung ihrer Schönheit vermehrt. Sicher wäre es nicht sehr hilfreich, wenn die Biologie sich ständig ihrer physikalischen Grundlagen bewusst sein müsste. Doch ist die beschreibbare Welt eine physikalische, und in diesem Sinne ist jede Naturwissenschaft auf die Physik zurück zu führen (wobei klar ist, dass mit Physik nicht mehr nur die klassische Mechanik gemeint ist).

Einsteins Gravitationstheorie macht die von Newton nicht schlechter, wir können damit immer noch erklären, warum der Mond nicht auf die Erde fällt, aber um die Bewegung der Planeten im Zusammenhang zu beschreiben, kommen wir um Einstein nicht herum .Der Formalismus von Einsteins allg. Rel. Th. Ist zwar ein mathematischer, aber er beschreibt die Raum-Zeit wie sie IST, sie krümmt sich wirklich unter der Macht der Materie, und der Materie schreibt sie ihren Weg vor. Klar, eine Hypothese, die eine instantane Übermittlung von Information annimmt, ist damit keinesfalls bewiesen, aber sie ist ebenfalls auf keinen Fall purer Unsinn, denn die entsprechenden Experimente zeigen, das z. B. Elektronen so reagieren, als ob sie von einander wüssten, ohne dass messbare Zeit vergeht, um es vorsichtig auszudrücken.

Man kann meines Erachtens nur von Willen sprechen, wenn er frei IST. Ein vollkommen
determinierter oder fremdbestimmter Wille ist für mich kein Wille mehr, denn Wille ist die
Fähigkeit zu eigener Aktivität.
Wir haben also zwei Klassen, nämlich den deterministischen Standpunkt und den, dass der Wille
völlig fremdbestimmt ist, auf der einen Seite, und den Standpunkt, dass der Wille mehr oder
weniger fremdbestimmt ist auf der anderen Seite (in gewisser Weise stehen die beiden Klassen für
den physischen bzw. psychischen Ansatz, eine Überschneidung liegt in der vollständigen
Fremdbestimmung, eine andere Überschneidung ist z. B. das Gefühlschaos der Pubertät).

Zu Klasse eins Ihr Zitat Professor Wolfgang Prinz: "Für mich ist unverständlich, dass jemand, der
empirische Wissenschaft betreibt, glauben kann, dass freies, also nicht determiniertes Handeln
denkbar ist." Aus dem Zusammenhang gerissen bietet dieses Zitat verschiedene
Interpretationsmöglichkeiten. Soll unter „empirisch“ nur das Faktum als Ergebnis des Experiments
verstanden werden? So verstandener Empirismus läuft auf Positivismus hinaus, aber die
Wissenschaft kommt um Interpretation nicht herum, niemand hat jemals ein Atom gesehen, es ist
im strengen Sinne empirisch gar nicht nachweisbar. Ich verstehe ihn aber eher so, dass die Welt
determiniert sein muss, damit wir Erkenntnis über sie gewinnen können; und wenn die Welt
determiniert ist, sind wir es auch. Eine nicht-determinierte Welt heißt aber nicht, dass die
Entwicklung eine willkürliche wäre, will sagen, es sind Möglichkeiten angelegt, und für das
Ereignis gibt es eine mehr oder weniger große Wahrscheinlichkeit, und er übersieht - das Interview
ist von 2004! -, dass die Welt NICHT determiniert IST (zumindest nicht im klassischen Sinne), das
lehrt uns seit Jahrzehnten die Quantenmechanik. Was determiniert ist, sind die naturgesetzlichen
Grundlagen. Das Geflecht des Möglichen nach Maßgabe der Naturgesetze schafft die Welt
(Dekohärenz), die wir wahrnehmen, es schafft aber auch uns, letztlich könnte man sagen, das
„Sein“ oder weniger mystisch, die Raum-Zeit ist, ein dynamischer Informationsfluss, in gewisser
Weise ist das, was uns materiell erscheint, tatsächlich Illusion, weil das konstituierende Substrat
nicht materiell ist. Wir spüren den Schmerz, wenn wir uns den Kopf stoßen, weil wir Teil der Illusion sind. Ich sage Illusion, aber ich meine nicht, dass die Materie nicht existiert - gerade das tut sie ja! -, sondern, dass sie ein vergänglicher Aspekt des darunter liegenden, raum- und zeitlosen Seins ist. (Auch hier wieder die begriffliche Schwierigkeit, die verschiedenen „Ebenen“ des „Seins“).

Ich bin davon überzeugt, dass die Struktur in ihrer Gesamtheit das ich konstituiert, was wir bei
neuronalen Aktivitäten messen ist nicht die Ursache, sondern die Auswirkung des Denkens. Wenn
die Struktur aber tatsächlich Raum-Zeit ist, wenn in Gefüge der Raum-Zeit überlichtschnelle
Informationsübermittlung möglich ist, sollte es nicht verwundern, wenn die Reaktion scheinbar vor
der Aktion erfolgt.

Ich lese in einem Beitrag zur parallel laufenden Diskussion über die Unsterblichkeit, der
orbitofrontale Cortx sei das, was Freud das „Über-Ich“ nannte und man gemeinhin als Gewissen
bezeichnet (Egon de Neidels). Sigmund Freud hatte aber in keiner Weise behauptet, Ich,
Unterbewusstes, Über-Ich usw. seien räumlich im Gehirn lokalisierbar, auch war nach ihm (ich
kenne Freud allerdings nur über Erich Fromm, der Freuds Gedanken zwar aufgegriffen, aber in
vielen Fällen abgelehnt oder doch weiterentwickelt hat) das Über-Ich die Summe der
internalisierten Ver- und Gebote derjenigen Autoritäten, die für die Erziehung des Kindes
verantwortlich waren (Erich Fromm bezeichnet es autoritäres Gewissen). Als solche waren sie häufig Ursache für innere Konflikte bis hin zur
psychischen Erkrankung, nämlich dann, wenn sie mit den Ureigenen Motivationen oder dem
eigenem, nicht von außen erzeugtem Gewissen konfrontiert wurden. Lösung solcher Konflikte
durch Praktiken der Psychoanalyse wurden klinisch sowohl von Freud als auch von Fromm
dokumentiert.

Womit ich im Übrigen bei dem zum Teil fremdbestimmten Willen angekommen bin. ((Der
vollkommen fremdbestimmte Wille wäre zurück zu führen auf einen fremden Willen (logisch), der
aber nun selbst wieder darauf hin überprüft werden müsste, in wie weit er selbstbestimmt ist)).
Das freier Wille nichts damit zu tun hat, alles nach Belieben tun und lassen zu können, habe ich
bereits angedeutet. Ja, er beginnt geradezu erst dort, wo ich mir meiner Grenzen bewusst werde, der
äußeren und noch weit mehr der inneren. Äußere Grenzen wären zunächst einmal ganz simpel
physischer und psychischer Art; ich kann mich noch so sehr anstrengen, ich werde nie die
einhundert Meter in acht Sekunden laufen (wird wohl auch sonst niemand), und ich werden nie ein
Werk wie die Ausmalung der Sixtinische Kapelle erschaffen oder eine umwerfende Theorie über den freien Willen.

Zeitlich bedingt muss ich hier erst mal halt machen, bitte um Verständnis und mgG

HG





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