Re: Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel


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Abgeschickt von Klemens Taplan am 23 Oktober, 2009 um 20:42:20:

Antwort auf: Re: Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel von Henry Grimmer am 19 Oktober, 2009 um 15:20:02:

Hallo Herr Grimmer,

zu Ihrer kurzen Vorbemerkung eine kurze Antwort:

Wer denkt? Das Gehirn denkt, das Gehirn entscheidet (in seiner Gesamtheit), nicht das Ich. Das wäre meine Quintessenz aus der Hirnforschung.

Ein paar epistemologische Gedanken:

Wenn die Außenwelt ein Konstrukt des Gehirns ist, kann auch die Physik nur Modelle bilden, die sich auf dieses Konstrukt beziehen und nicht auf die reale Außenwelt. Die evolutionäre Erkenntnistheorie berechtigt zu der Annahme, dass dieses Konstrukt Ähnlichkeiten mit der realen Außenwelt hat (sonst wären wir schon längst ausgestorben); aber es ist nicht die Realität. Wir sehen nicht mehr, als die Schatten an der Rückwand von Platons Höhle. Erschwerend kommt hinzu, dass auch das Ich (möglicherweise) ein Konstrukt ist (Metzinger). Damit bewegen wir uns in einem Kreis, den wir nicht durchbrechen können. Auch die Erkenntnisse selbst, sind Erkenntnisse innerhalb des Konstrukts. Das System ist selbstreferenziell.

Eine Wissenschaft, die sich in diesem „Käfig“ befindet, kann niemals eine Welterklärung liefern. Denn das wäre so, als wenn ein Programm sich zum Programmierer äußert (nur ein Vergleich). Diese Zusammenhänge vergisst man zu leicht und sie spielen auch im Alltag keine Rolle. Aber wenn wir uns als evolutiv an den Mesokosmos angepasste Wesen in den Mikro- oder in den Makrokosmos begeben, dürfen wir uns nicht wundern. Es ist Vorsicht geboten. Die Phänomene der Quantentheorie verstehen wir nicht, weil wir an diese Welt nicht angepasst sind. Wir verstehen nur die klassische Physik. Ist der Kosmos durch einen Urknall entstanden? Spekulation! Wir kennen „die Welt an sich“ nicht (s. Kant).

So gesehen müsste ich streng genommen hinter jeder meiner Aussagen ein Fragezeichen setzen.

Eine rein physikalische Beschreibung einer Pflanze, eines Tieres oder eines Menschen ist mir zu reduktionistisch, selbst bei einem umfassenden Physikverständnis. Ein Stufenmodell der Wissenschaften, von der Physik über die Chemie, Biologie, Psychologie, Soziologie ist für mein Verständnis plausibler. Für durch Selbstorganisation entstandene Objekte auf einer höheren Stufe (Atome, Moleküle, Zellen, Vielzeller, …, Mensch) greifen auch (zusätzlich) neue Naturgesetze. Die bisherigen Naturgesetze sind selbstverständlich existenziell (man sollte nicht vom Hochhaus springen, wenn man nicht fliegen kann), spielen für das Verständnis der Pflanze, des Tieres, des Menschen aber eine untergeordnete Rolle. Es gelten natürlich die Gesetze der Kinematik oder Dynamik auch für den Menschen; für das Selbstverständnis des Menschen kann mir aber die Biologie, Psychologie oder Soziologie mehr sagen.

Das Potenzial der Quantenphysik, von Ihnen und Herrn Keil häufig angesprochen, möchte ich nicht unterschätzen. Daher ein paar Hinweise auf den österreichischen Physiker Anton Zeilinger:

Zeilingers Team ist es vor ein paar Jahren gelungen, verschränkte Teilchen über eine Distanz von 600 m durch die Luft über die Donau zu schicken. Er hat erfolgreich Quanten teleportiert, wobei genau genommen nicht Teilchen, sondern Teilcheneigenschaften (instantan) teleportiert werden.

Ob eine technische Nutzung in absehbarer Zeit möglich ist, mag in den Sternen stehen; interessant sind diese Phänomene allemal. Vielleicht hat unser Gehirn Ähnlichkeit mit einem Quantencomputer, wie Herr Keil glaubt. In ferner Zukunft werden Quantencomputer möglicherweise Realität werden. Vielleicht ist auch mittels der Quantenphysik der Zufall in der Evolution erklärbar (wenn nicht die Radioaktivität eine hinreichende Erklärung bietet).

Ist möglicherweise auch der Konflikt zwischen „Gründen“ und „Ursachen“ beim freien Willen mittels der Quantenphysik lösbar? Frank Tipler jedenfalls postuliert eine Art Zufallsgenerator, der dafür sorgt, dass Verhalten nicht determiniert ist. Diese Art von „Verhalten“ findet man in der Quantenphysik wieder. So ist das Verhalten eines einzelnen Teilchens nicht vorhersagbar (nicht determiniert, daher Willensfreiheit), aber eine große Anzahl von Teilchen lässt Gesetzmäßigkeiten erkennen. Ist damit eine begrenzte Willensfreiheit im Rahmen der Naturwissenschaften erklärbar?

Zu Wolfgang Prinz (s. Hirnforschung und Willensfreiheit): „Wissenschaft geht davon aus“, so Prinz, „dass alles, was geschieht, seine Ursachen hat und dass man diese Ursachen finden kann.“ Und weiter: „Wissenschaft liebt Monismus und Determinismus.“ Ich denke, Ihre zweite Interpretation „Die Welt muss determiniert sein, damit wir Erkenntnis über sie gewinnen können.“, trifft Wolfgang Prinz’ Meinung eher.

Zum Schluss noch einen Gedanken zum „Ich“:

Selbst wenn es für Bewusstsein eine Erklärung gäbe, wäre damit nicht das „Ich“ erklärt. Oder ist das „Ich“ nur eine Fiktion? Wessen Fiktion? So spricht Metzinger von einer unhintergehbaren Ich-Illusion, die im Grunde keine ist, weil sie niemandes Illusion ist. Hier wird es paradox …

Alles spekulativ: Wir wissen nicht, wir raten …

Mit freundlichen Grüßen
K.T.




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