Re: Auf der Suche nach dem Selbst


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Abgeschickt von Henry Grimmer am 03 Dezember, 2009 um 16:24:52

Antwort auf: Re: Auf der Suche nach dem Selbst von Walter Keil am 30 November, 2009 um 15:49:55:

Hallo, Disputanten!

Ich sehe in der jetzigen Diskussionsrunde eine immer wieder kehrende Unterlassungssünde (so will ich es mal nennen), die beinahe zwangsläufig zu Problemen und Missverständnissen führt, nämlich die Tatsache, dass das gegenseitige Verständnis schon an den verwendeten Begriffen scheitert. Wenn ich z. B. im Alltagsgebrauch sage, jemand habe dies oder jenes unbewusst getan oder gesagt, so meine ich gewöhnlich, der jemand hat nicht weiter über sein Handeln nachgedacht.

Wenn es aber in der Psychoanalyse / Psychologie gebraucht wird, so hat „unbewusst“ eine andere Bedeutung, es meint nämlich das Handeln aufgrund einer weitgehend angeborenen Charakterstruktur (will heißen in etwa die Gesamtheit innerer Strebungen und ihrer Ausrichtung dem Leben gegenüber, also eher positiv oder negativ, genetisch bedingt und / oder ererbt; nach Freud entstehen seelische Krankheiten aus dem Konflikt dieser inneren Normen und den im Laufe der Erziehung erworbenen Normen, wenn die Normierungen einander widersprechen, „Es“ vs. „Über-Ich“). Es meint eher ein „richtiges“ oder „falsches“ Handeln in „moralischem“ Sinne. Das ist wohl gemeint, wenn von Handlungen die Rede ist, die wir ausführen, ohne zu wissen, dass sie innerer Motivation entstammen. In diesem Sinne ist also weniger die konkrete Handlung gemeint als Folge unbewusster Strebungen, sondern ein bestimmter seelischer Hintergrund („seelisch“ hier nicht religiös verstanden).

Unbewusstes Handeln im alltäglichen Sinne geht eher in die Richtung der Intuition, wobei ich beobachte, dass „richtiges intuitives Handeln“ beinahe synonym mit „intuitivem Handeln“ gebraucht wird – da kann ich mich aber täuschen. Wichtig hier ist nun, dass der intuitiven Handlung eine Einschätzung der Lage vorausgeht, und zwar ohne den Umweg über den wertenden Intellekt, so zu sagen unter Ausschluss der Ratio. Und, beinahe noch wichtiger, das Ergebnis lässt sich per Ratio überprüfen, das heißt, intuitives Handeln bezieht sich auf die diesseitige Wirklichkeit. Intuition bzgl. irgendwelcher Glaubensinhalte ist aber genau so spekulativ wie der Glaube selbst, sie mag zwar subjektiv von großer Wichtigkeit sein, ist aber objektiv nicht überprüfbar.

Das alles war jetzt beispielhaft und kann auf andere Begriffe ausgedehnt werden. Ich denke, wir werden zwar dem, was „Selbst“ und „Bewusstsein“ sind, nicht näher kommen, aber vielleicht gibt es für den einen oder anderen ja doch Erhellendes.

Weil ich ein wenig über den Begriff „Reduktionismus“ schreiben möchte, vorab: Ich gehe mit Herrn de Neidels in soweit konform, als ich auch eine Gesamtsicht des Kosmos anstrebe – dazu sei er zitiert: „Ich selber bin allerdings etwas skeptisch in Bezug auf dualistischen Auffassungen und neige eher zu einer Allbewusstseinslehre, wobei dem, was wir gemeinhin Materie nennen, die Rolle eines illusionshaften „Quantentheaters“ zukommt unter der Voraussetzung, dass uns das eigentliche „Quantenobjekt“ nie zugänglich sein wird sondern nur dessen postdekohärente Projektion. Dieses scheint mir aber mit der Auffassungen HvDs kompatibel zu sein – ein kruder Materialismus hingegen nicht.“ Zitat ende.
Vielleicht sollt ich gleich unterscheiden zwischen dem Experiment z. B. in der Atomphysik (siehe CERN) und der philosophischen Richtung, die man gemeinhin als Reduktionismus bezeichnet, es ist beides nämlich keineswegs identisch. Man KANN der Ansicht sein, durch Erkenntnis über den Einzelfall letztlich jede (mögliche) Erkenntnis über das Allgemeine zu erhalten – das nennt man wohl „induktiv“, aber soweit ich das sehe, sind sich heute sehr viele Wissenschaftler und besonders auch Philosophen darüber einig, dass das Ganze mehr als die Gesamtheit der Teile ist. Die Experimente dienen jenen dann dazu, gewonnene Erkenntnis in den Gesamtrahmen einzubinden. Wenn es häufig so scheint, als währe für den Wissenschaftler einer bestimmten Fachrichtung die Welt jenseits seines Faches zu Ende, so liegt das meines Erachtens zum großen Teil daran, das die Zeit der Universalgenies für immer vorbei ist, will sagen, die Welt des Wissens ist so komplex geworden, dass niemand auch nur in zwei Dörfern gleichzeitig zu hause sein kann, geschweige denn auf dem gesamten Globus.
Die Experimente mit dem LHC werden uns tieferes Verständnis bzgl. der ersten Momente des Urknalls bringen, ebenso darüber, in wie weit die Theorie darüber stimmig ist. Der Nachweis des Higgs-Teilchens wäre ein weiterer grandioser Beleg für die Fähigkeiten des Menschen, sich dem inneren Aufbau des Kosmos ohne jede Anschauung, nur durch seine Ratio zu nähern. (Das Higgs-Teilchen konstituiert ein Feld, das durch seine Anwesenheit der Materie ihre Masse verleiht, das müsstest du, Walter, doch mit Begeisterung begrüßen, Energie verleiht der Materie eine ihrer Eigenschaften!). Bei dem Nachweis des Higgs-Teilchens geht es letztlich gar nicht um eben diesen Nachweis – bzw. nur vordergründig. Der Nachweis macht nur Sinn, wenn er in die ganzheitliche Betrachtung des Kosmos eingebettet wird.
Aber Obacht! Ganzheitlich meint hier nur, soweit es die Naturwissenschaften können! Die Naturwissenschaften können nur Ursachen, aber keine Gründe angeben, nur das darf man von ihnen verlangen, und die Wissenschaftler sind sich in der großen Mehrheit dieser Einschränkung bewusst.
Man kann nicht die Relativitätstheorien hoch halten, und dann sage, nun muss aber Schluss sein.
Langsam steht die Frage im Raum, was das alles mit dem „Selbst“ und dem Bewusstsein zu tun hat, nicht war? Nun, Erkenntnis im obigen Sinne ist immer auch Erkenntnis über uns selbst, und zwar auch dann, wenn unsere Theorien scheitern. Es wird aber ein interessantes Spiel mit Abstraktionsebenen, wenn wir setzen, dass der Gegensatz „Selbst“ und „Welt“ (Subjekt – Objekt) ein von uns künstlich geschaffener ist (wovon ich überzeugt bin). Die unbewusste Welt wird sich in uns bewusst, wir erkennen die Welt als Gegenüber, später als Teil unserer selbst, wir erkennen, dass wir uns und die Welt in unserem Gehirn erkennen, wir erkennen das Gehirn als Teil der Welt, der sich von Anschauungsebene zu Anschauungsebene der Welt wieder nähert. (Oho, Alpha und Omega haben sich eingeschlichen, merke ich gerade. Teilhard de Chardin hat´s aber einfacher als Christ, er setzt einfach Christus als „Omega“, und hat somit nicht nur Ursache, sondern auch Grund.)
Etwas anderes, auch sehr interessantes sah ich letzten über einen Mann, dem man operativ die rechte Gehirnhälfte vollständig entfernt hatte, der Mann war geistig voll auf der Höhe und hatte körperlich nur geringe Einschränkungen. Für mich spricht das eindeutig gegen die Ansicht, geistige Tätigkeiten wären neuronalen Arealen im Gehirn eindeutig zu zuordnen. Die verbliebene Gehirnhälfte konnte nicht von der verlorenen lernen, die war einfach weg.
Meine Ansicht bzgl. des „Selbst“ unterscheidet sich von der Herrn Pfeifers oder auch Walters insofern, dass ich nicht dem Dualismus bei beiden folge. Ich halte es z. B. für nicht schlüssig, das „Selbst“ (Seele) als unteilbar zu setzen, es dann mit dem Bewusstsein gleich zu setzen und diesem Erfahrungswerte zu zuordnen. Es stellt sich die Frage, wie denn die materiell basierende Erfahrung eine sich nicht veränderbare, rein „geistige“ Seele kommen soll? Wir müssten schon wieder klären, was Inhalte des Bewusstseins sind, also, was Bewusstsein ist, ein Zirkelschluss. Das ist nicht nur im übertragenen Sinne gemeint, denn es ist tatsächlich so, dass man mit der Erforschung des Kleinsten die gemeinsame Struktur des Ganzen verstehen will. Leider ist das sehr schwer zu vermitteln, weil uns jegliche Anschauung fehlt. Es geht letztlich darum, nachzuweisen, dass bei entsprechen hohen Energien (Temperaturen) nur noch ein einziges Feld aus reiner Energie existiert.
Es ist ja recht schön zu glauben, alles sie Energie, doch so lange es Menschen gibt, die dem skeptisch gegenüber stehen, ist der Beweis noch immer das probate Mittel.
Walter, ich verstehe wirklich nicht, warum du den Energiebegriff so mystifizierst und dem Teilchenbegriff so ablehnend gegenüber stehst. Jeder Physiker weiß doch, dass Materie gleich Energie ist, bringe mal ein Elektron und ein Positron zusammen, dann weißt du, was los geht – sie zerstrahlen zu reiner Energie. Im LHC wird keineswegs nur zerteilt und zerteilt! Bei den hohen Energien, die dort im Spiel sind, entstehen Teilchen, entsteht Materie aus Energie, was willst du mehr?!
Ich kann auch nicht nachvollziehen, was du damit meinst, dass auf molekularer Ebene Plus und Minus sich anziehen und auf der Quantenebene sich abstoßen, nach allem, was ich weiß, ziehen sich gegensätzliche Ladungen immer an und stoßen sich gleiche immer ab. Hier ist es ausnahmsweise mal ganz einfach, ein Elektron ist negativ geladen, je mehr Elektronen, desto größer die Gesamtladung. Und die stoßen sich ab, die Elektronen, ist auch gut so, das ist nämlich der Grund, warum wir nicht durch die Erde fallen, es sind einzig die Elektronen in den Hüllen der Moleküle, die uns davor bewahren.
Was mich zum vorerst letzten Punkt bringt, dem Elektro-Magnetismus. Das Photon ist der Überträger dieser Naturkraft, eine von vier Kräften, das Licht als Feld betrachtet besteht aus Photonen, und das Licht ist ein winziger Teil des gesamten elektro-magnetischen Spektrums.
Irgendwo gab´s die Diskussion, ob Farbe nicht eine Illusion sei. Ich halte auch diese Diskussion für völlig überflüssig. Farbe ist Lichtschwingung, wir reagieren auf diesen Teil des Spektrums, und zwar richtig, sonst gäbe es uns nicht. Dass wir dabei den Sinneseindruck z. B. „rot“ erfahren, ist doch völlig unerheblich, weil wir doch jetzt wissen, wir der Sinneseindruck zustande kommt, er ist eine Mitteilung der uns umgebenden Welt, von der wir ein Teil sind. Punktum. Es ist unsere Abstraktionskraft, die uns diese Einsicht liefert, ein Weg zu mehr Erkenntnis. Und wir wissen sogar noch mehr, nämlich, dass die Kraft der Elektronen, die uns auf der Oberfläche der Erde hält, dieselbe Kraft ist, wie die, die uns die Sonne sehen lässt. Es ist doch nicht nötig zu behaupten, die Festigkeit der Materie wäre Illusion, wenn wir doch wissen, das die Abstoßende Kraft der Elektronen diese Festigkeit IST. Verallgemeinert sei gesagt, wir halten die Welt für eine Illusion, weil sie mehr ist, als unsere Sinne uns zeigen. Wir sind aber über den alleinigen Zweck der Sinne, uns in dieser Welt über die Runden zu bringen, weit hinaus gekommen, wir haben unseren Verstand, der uns Einblick in unsere Welt, in uns selbst über die Erfahrung der Sinne hinaus gewährt.

Mit freundlichen Grüßen

Henry Grimmer




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