Re: Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel


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Abgeschickt von Klemens Taplan am 07 November, 2009 um 12:17:12:

Antwort auf: Re: Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel von Helmut Pfeifer am 06 November, 2009 um 15:57:39:

Hallo Herr Pfeifer,

mit dem Satz „Als sicher kann m.E gelten, dass der Wille nicht so frei ist, wie er uns vorkommt.“ habe ich zum Ausdruck bringen wollen, was ich bei diesem schwierigen Thema für den kleinsten gemeinsamen Nenner halte. Es gibt extreme Positionen in beide Richtungen.

Auch die Frage nach dem „Wer“ kann nicht abschließend beantwortet werden. Ist das Ich eine Illusion, wie Buddhisten glauben? Existiert im Gehirn ein virtuelles Selbst, wie Metzinger es thematisiert? Es gibt psychiatrische Störungen, bei denen das Ich-Erleben gestört ist und betroffene Personen ihre eigene Existenz bestreiten. Auf der anderen Seite gibt es Berichte über mystische Erfahrungen, bei denen sich das Ich auflöst. Was ist der Mensch? Sicherlich mehr als ein Ich, aber das Ich ist für das Selbstverständnis der Menschen existenziell.

Im subatomaren Bereich geht es nicht determiniert zu, dort gelten die Eigenarten der Quantenphysik. Nimmt man eine Vielzahl von Teilchen als Basis, greifen übergeordnete Gesetze der Statistik. Der radioaktive Zerfall mit konkreter Halbwertszeit ist ein Beispiel dafür. Man kann zwar nicht prognostizieren, wann ein konkretes Teilchen zerfällt, bei einer Vielzahl von Teilchen weiß man aber, wann sie zur Hälfte zerfallen sein werden. Methoden der Altersbestimmung nutzen diesen Effekt.

Im Mesokosmos, unserer Erfahrungswelt, geht es determiniert zu. Ein Überleben wäre kaum möglich, wenn es in der Natur keine berechenbaren Ursache-Wirkungsketten gäbe. Der fallende Apfel gehorcht dem Gravitationsgesetz. Medizin wirkt, weil der menschliche Organismus sich entsprechend naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten verhält. In der leblosen Natur und auch im menschlichen Verhalten greifen auch Gesetze der Statistik. Das Verhalten eines einzelnen Menschen lässt sich nicht prognostizieren, das Verhalten einer Vielzahl von Menschen aber sehr wohl (Kaufentscheidungen, Wahlverhalten, …).

Beim freien Willen bewegen wir uns auf einer geistigen Ebene. Jedoch gibt es eine Korrelation zwischen physischen Gehirnaktivitäten und geistigen Aktivitäten. Das Thema kann somit auch physisch untersucht werden. Wirkt die Quantenphysik auf dieser Ebene? Es gibt Autoren, die das so sehen und Ähnlichkeiten drängen sich auf. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen. Im Grunde genommen stoßen wir hier wieder auf die unterschiedliche Sicht der Naturwissenschaftler, die sich an Ursachen orientieren und Philosophen, nach deren Thesen Gründe für das menschliche Verhalten maßgebend sind. Diese Begrifflichkeiten zu vermischen, wäre aus philosophischer Sicht ein Kategoriefehler.

Beim Thema Hirnforschung habe ich mich bewusst vorsichtig ausgedrückt. Es gab schon vor Jahren Versuche, bestimmtes menschliches Verhalten durch Reizung bestimmter Hirnregionen hervorzurufen. Die Erfolge und Einsichten auf diesem Gebiet sind enorm. Damit existiert aber längst keine vollständige Gegenüberstellung mentaler Leistungen zu Hirnaktivitäten. Bei allen Erfolgen der Hirnforschung habe ich Zweifel, ob die Tiefe der menschlichen Psyche, wie Dostojewskij sie in seinen großartigen literarischen Werken beschreibt, jemals im Rahmen der Hirnforschung ergründet werden kann. Der Mensch ist zu komplex. In „Sophies Welt“ von Jostein Gaarder bin ich mal auf einen geistreichen Satz gestoßen, der in etwa lautete: Wenn das Gehirn des Menschen so einfach strukturiert wäre, das wir es verstehen könnten, wären wir so dumm, dass wir es doch nicht verstehen würden.

Wolf Singer habe ich im Startbeitrag zu Metzingers Buch zitiert. Ein Interview mit Singer ist auch in Metzingers Buch enthalten. Ich habe in den letzten Beiträgen einige Autoren erwähnt, wobei es mir nicht so wichtig ist, wo sie jeweils herkommen.

Meine Formulierung zur Emergenz war ungeschickt und so nicht gemeint. Was ich zum Ausdruck bringen wollte war, dass durch Selbstorganisation Verbindungen entstehen, deren Eigenschaften in den Einzelteilen nicht erkennbar sind. Natürlich können einmal gebildete Verbindungen reproduziert werden. Gerade das kennzeichnet ja die Naturwissenschaften. Das Wesen der neuen Eigenschaften ist aber trotzdem rätselhaft. Es sei denn, man hat das Staunen verlernt.

Die Physik kreiert Modelle, die unsere Erfahrungswelt bestmöglich beschreiben. Wir glauben, dass unsere Erfahrungswelt nahe an der Realität ist. Was physikalische Begriffe „ihrem Wesen nach“, also in der Realität, sind, weiß niemand. Dies meine ich mit ontologisch. Masse und Licht sind in diesem Zusammenhang beliebige Beispiele, ich hätte auch andere wählen können. Wir gehen mit diesen Begriffen innerhalb von Modellen um, ohne zu wissen, ohne wissen zu können, was sie ihrem Wesen nach sind.

Hawkings Werke sind nicht frei von Philosophie. In „Das Universum in der Nussschale“ bekennt er sich zum Positivismus. Ein solches Buch kann m.E. maximal einen Eindruck vom Stand der Kosmologie vermitteln. Mehr halte ich populärwissenschaftlich nicht für möglich. Verstehen kann man Physik nur mittels der Mathematik. Ich frage mich aber auch, was Modelle mit 11 Raumzeitdimensionen, wie die M-Theorie, letztlich noch erklären können.

Mit freundlichen Grüßen
K.T.




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