Re: Erkenntnis und die Gottesfrage


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Abgeschickt von Heinz Boente am 05 Maerz, 2006 um 14:30:22

Antwort auf: Erkenntnis und die Gottesfrage von Walter Keil am 20 Februar, 2006 um 09:57:04:

Lieber Herr Keil, zunächst mal wieder mein Dank an Sie für den Vorstoß, das Forum erneut zum Leben zu erwecken.

Sie stellen in Ihrem Beitrag die Frage, ob "man Gott oder Nicht-Gott mit Erkenntnis finden kann". Ich könnte es mir ganz einfach machen und schlicht mit NEIN antworten, wofür sich leicht eine Anzahl von Gründen und natürlich auch jede Menge namhafter Vertreter in Wissenschaft, Philosophie und Religion finden ließe. Andererseits haben Sie mir Antwort gleich mitgeliefert, denn ähnlich wie Sie halte ich die Gottesfrage ebenfalls für ein individuelles psychologisches Phänomen (siehe Feuerbach: "Der Mensch schuf Gott nach seinem Ebenbilde"). Warum dieses menschliche Grundbedürfnis dann im Laufe der menschlichen Kulturentwicklung von allen Religionen - egal, ob sogenannte Weltreligion, lokale Sekte oder einzelne Schamane - mehr oder weniger geschickt kanalisiert worden ist, brauche ich hier wohl nicht näher zu begründen.

Das Vertrackte an der Frage nach der Existenz eines Gottes ist ja fundamentaler Art, nämlich die Tatsache, daß sie grundsätzlich unbeantwortbar ist und vermutlich niemals und von niemandem beantwortet werden kann. Ich denke, daß unter wissenschaftlich interessierten und informierten Menschen zumindest der Konsens besteht, daß es eine Evolution gibt, und zwar eine umfassende, d. h. vom Urknall bis zur menschlichen Großhirnrinde (Im Anfang war der Wasserstoff) - und höchstwahrscheinlich sogar darüber hinaus, wenn wir die Möglichkeit der Existenz von außerirdischem Leben irgendwo im Universum einmal annehmen. Dennoch bleibt die Frage, wer (oder was) denn eigentlich diesen Urknall "veranlaßt" hat und wer (oder was) die daraus folgenden Naturkonstanten auf genau die Werte gesetzt hat, die die Naturwissenschaft etwas irreführend als "anthropisch" bezeichnet.

Denn ab dieser grundsätzlichen Frage, die exakt genau so alt ist wie der Mensch, dreht sich alles im Kreise: war es nun ein Schöpfer oder war es keiner? Bin ich also ein Gottesgläubiger oder bin ich ein Atheist? Alles weitere, also die Entstehung von Religions- und Glaubensgemeinschaften in Verbindung mit den von ihnen aufgestellten Dogmen und Riten, ist meiner Ansicht nach - man verzeihe mir den flapsigen Ausdruck - "Kleckerkram", über den man im Einzelfall diskutieren kann und der sich wahrscheinlich mit der Gewinnung neuer Erkenntnisse auch ändert. Religionen ("Glauben") bewegen sich immer in erkenntnistheoretischen und wissenschaftlichen Grenzbereichen, und dazu gehört nicht nur die Gottesfrage, sondern auch Heilige, Wunder, Weiterleben nach dem Tode usw..

Interessanterweise ist das, was man ist, wenn man nicht an einen Gott glaubt, viel schwerer zu erklären als ein gläubiger Mensch es kann. Der glaubt an einen Gott und fertig. Aber was bin beispielsweise ich, der ich jetzt einfach mal folgendes behaupte: Die derzeitige Entwicklungsstufe - wohlgemerkt: nicht der heutige Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse! - des menschlichen Gehirns ist einfach (noch) nicht fähig, beispielsweise die Wirklichkeit eines Nichts oder das Vorhandensein einer Unendlichkeit zu erfassen. Vor diesen zwar denkbaren, aber nichtsdestoweniger nicht erklärbaren Begriffen in ihrer reinsten Bedeutung muß der menschliche Geist auf seiner heutigen Entwicklungsstufe hilflos kapitulieren.

Bin ich mit dieser meiner Behauptung jetzt ein Atheist reinsten Wassers (im Sinne: "ohne Gott") oder erhebe ich lediglich "das Nichts" oder "die Unendlichkeit" in den Status meines persönlichen Gottes? Genau an dieser Stelle setzt also eine individuelle Spekulation ein, die dann mehr oder weniger zwangsläufig in ein (einen) Glauben mündet (übrigens, trotz "Nichts", ein Nihilist im Sinne Nietzsches bin ich auch nicht).

Psychologisch und evolutionstechnisch gesehen ist ein gemeinsamer Glaube mit festen Dogmen und gemeinsamen Riten sicherlich sehr hilfreich für das Überleben einer Gemeinschaft, deshalb gibt es m. E. ja auch heute noch eine fast unübersehbare Fülle von Glaubensgemeinschaften (in Porto Allegre waren z. B. mehr als 300 (!) allein christliche vertreten). Warum wohl diese gewaltige Menge, zumal sie sich oftmals doch nur in Nuancen unterscheiden? Im Islam und im Judentum ist es ja gar nicht viel anders mit den zahlreichen Unter- und Splittergruppen. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und beziehe sogar politische oder weltanschauliche Ideologien (auch wenn man sie aus der sicht eines Gottegläubigen als atheistisch bezeichnen würde) mit in die Liste der überlebenshilfreichen Glaubensgemeinschaften ein.

Somit halte ich aus dem Blickwinkel der Evolution einen Glauben durchaus für sehr nützlich, ja, sogar notwendig. Der Mensch (und nicht nur er) ist ein soziales Wesen, dessen Existenz und Wohlbefinden auf das Zusammenspiel innerhalb der Gemeinschaft angewiesen ist, und dazu gehören auch gleiche oder zumindest sehr ähnliche Ideologien, wozu ich persönlich auch den Glauben an ein "Höheres Wesen" zähle.

Andere Meinungen?
HB




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