Re: Int. Erkenntnisse der Hirnforschung Hard +-Software


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Abgeschickt von Heinz Boente am 19 Maerz, 2010 um 09:23:15

Antwort auf: Re: Int. Erkenntnisse der Hirnforschung Hard +-Software von H.Heim am 18 Maerz, 2010 um 20:02:40:

Hallo Herr Heim,

schön, daß Sie sich auch wieder mal zu Wort melden. Sie haben recht, es fing "ganz harmlos" an, und ich vermute, daß Herr Pfeifer mit seinen sehr sachlichen Informationen zum Stand der Hirnforschung sicher nicht die Richtung vorgeben wollte, in die sich die Diskussion entwickelt hat. Andererseits ist das natürlich beste Ditfurth'sche Tradition, von einem zunächst nüchternen wissenschaftlichen Thema auf die Konsequenzen für das Weltbild des Menschen zu kommen, wozu - so ist es nunmal und diese Tatsache kann (und sollte) auch ein Atheist nicht ignorieren - nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Religion gehört.

Als Atheist kann ich dem, was Sie im Großen und Ganzen schreiben, natürlich nur zustimmen. Trotzdem muß ich kurz auf den "Nutzen" der Religion zurückkommen, weil Sie Herrn Grimmer und mir in dem Punkt widersprochen haben, daß Religion (ganz allgemein gesehen, möchte ich hinzufügen) einen positiven Nutzeffekt auf die Entwicklung gehabt hat. An der Perfekt-Form des Verbs können Sie jedoch schon ablesen, daß dies längst vorbei ist. Versetzen wir uns doch mal gedanklich in die graue Vorzeit des Homo sapiens. Gerade ist der Geist erwacht und er beginnt sich und seine Umwelt kritisch zu betrachten. Er stellt Fragen, nach dem eigenen Sein und nach den Gründen und Ursachen der Dinge in seiner Umgebung. Parallel dazu muß er sich jedoch nicht nur seiner Freßfeinde erwehren, sondern feststellen, daß auch Seinesgleichen ihm nach dem Leben trachten. Deshalb ist es überlebenswichtig, daß seine Gruppe, sein Stamm, seine Horde zusammenhält. Und was wäre da besser geeignet, als eine gemeinsame Ideologie? Ich möchte hier den Zoologen Desmond Morris zitieren, der in seinem (übrigens höchst lesenswerten und amüsant geschriebenen) Buch "Der nackte Affe" folgendes schreibt (den vollständigen Text des Abschnitts aus dem Buch finden Sie im übrigen auf der HvD-Webseite unter "Sonstige Dokumente"):

"Warum sind sie [die Götter] dann erfunden worden? Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, gilt es wieder einmal den weiten Weg zurückzugehen zum Ursprung, zu unseren Ahnen. Bevor wir uns zu im Hordenverband zusammenarbeitenden Jägern entwickelt haben, müssen wir in Sozialverbänden gelebt haben, wie wir sie heute bei anderen Tier- und Menschenaffen-Arten kennen. Im typischen Fall wird jede solche Gruppe von einem einzigen, allen anderen Angehörigen überlegenen, dominierenden Männchen beherrscht. Dieser Affenmann ist der Chef, der Herr, jeder und jede andere in der Gruppe hat ihm zu gehorchen, ihn bei guter Laune zu halten, ihn zu beschwichtigen, wenn er oder sie nicht die Konsequenzen tragen will. Er ist aber auch der Aktivste, wenn es darum geht, die Gruppe vor Gefahren von außen zu schützen und Händel zwischen Gruppenmitgliedern niederen Ranges beizulegen. Alles im Leben aller Angehörigen der Horde dreht sich um den einen Herrscher. Seine Rolle als Allmächtiger gibt ihm einen gottähnlichen Status. Wenden wir uns nun unseren unmittelbaren Vorfahren zu, so wird folgendes klar: Mit zunehmendem Zusammenwirken, das so entscheidend wichtig war für das erfolgreiche Jagen der Gruppe, mußte die Autorität dieses einen dominierenden Individuums ganz wesentlich eingeschränkt werden, wenn ihm die aktive Gefolgschaftstreue (anstelle der vordem passiven Ergebenheit) der Gruppenmitglieder erhalten bleiben sollte: Sie mußten ihm nun helfen wollen, anstatt ihn nur zu fürchten. Und er mußte sehr viel mehr einer von ihnen werden. Der Affentyrann alten Stils hatte abzutreten; seinen Platz nahm nun ein duldsamerer, auf Zusammenwirken und Hand-in-Hand-Arbeiten eingestellter Anführer ein. Dieser Schritt war ausschlaggebend wichtig für die sich mit dem nackten Affen entwickelnde, auf gegenseitige Hilfe abgestellte neue Ordnung. Schon aber tauchte ein neues Problem auf: Die absolute Autokratie von Nummer eins der Gruppe war abgelöst durch eine beschränkte Herrschaft; jetzt konnte der Anführer keinen widerspruchslosen Untertanengehorsam mehr fordern. Dieser Wechsel in der Ordnung der Dinge, so notwendig er für die neue Lebensweise und die aus ihr sich ergebende Sozialstruktur war, läßt jedoch eine Lücke unausgefüllt: Aus der alten Urwaldaffenzeit war nämlich noch immer das Verlangen nach dem einen Allmächtigen da, der seine Gruppe in Zucht hielt. Diese Lücke wurde geschlossen dadurch, daß man einen Gott erfand. Und dessen Macht konnte als zusätzliche Kraft zu der jetzt beschränkten Macht des Anführers der Horde treten."

Schlüssiger kann man es nicht erklären, wie ich finde. Ein ähnliches Phänomen, also die Tatsache, wie wichtig und nützlich eine gemeinsame Ideologie ist, findet man in den USA, bekanntlich ein Einwandererstaat, in dem zusammengewürfelte Menschen (bzw. deren Nachfahren) aus Nationen mit den unterschiedlichsten geschichtlichen Hintergründen und Weltanschauungen leben, wie sie verschiedener gar nicht sein können. Trotzdem können selbst kritische Zungen dieser Nation nicht absprechen, eine solche zu sein. Möglich geworden ist dies durch ein für einen Europäer nachgerade skurril und übersteigert anmutendes Nationalbewußtsein, das noch heute ständig und an allen möglichen und unmöglichen Orten durch Symbole (Flaggen, Nationalfarben, Hymnen, gegenseitiges eigenes Schulterklopfen usw.) und eine allgegenwärtige Militärpräsenz ("Wir sind die Stärksten der Welt") sowie die tiefe Überzeugung, die freiesten und demokratischsten Menschen überhaupt zu sein, aufrechterhalten wird und werden muß. Das kommt Ihnen von den Religionen her bekannt vor? Mir auch.

Was ich damit sagen will: Religionen sind in soweit für die Entwicklung nützlich (gewesen), als daß sie ein gemeinsames Ziel vorgeben, für das es sich u. U. sogar zu sterben lohnt. Daß dies nach dem Zeitalter der Aufklärung und besonders heute, da wir diesen "Mechanismus" durchschaut haben, in keiner Weise mehr zeitgemäß ist, sollte in der Tat jedem Menschen klar sein, der sein Denken nicht an der Kirchentüre abgegeben hat.

HB



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