Zuviele Probleme vs. Optimismus


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Abgeschickt von Egon de Neidels am 07 Oktober, 2009 um 05:39:40:

Antwort auf: Re: If Paradies is half as nice von Walter Keil am 06 Oktober, 2009 um 17:01:42:

Hallo Herr Keil,

ich beneide Sie wegen Ihres Optimismus. Ich hatte ihn auch einmal. Ich hatte ihn, als ich die besseren Autoren der New-Age-Bewegung in den 80igern des letzten Jahrhunderts las, ich hatte ihn als ich mich mit der Extropie-Bewegung befasste, ich hatte ihn als Marxist in meiner Studentenzeit, ich hatte ihn noch als ehem. Anhänger Timothy Learys, glaubte ihm die „psychedelische Revolution“, später seine Cybertechschwärmerei („Getting high bei High-Tech“), usw. Ich suchte in der Bibel, ich suchte in der Gita, in den Sutren Buddhas, in den Schriften Vivekanandas, Ramakrishnas, Gandhis, und vielen mehr. „They call me the seeker...“ – der alte Song von den Who passt. Ich suche immer noch und wenn ich nicht sterblich wäre, würde ich wohl noch in Tausend Jahren suchen – vielleicht doch ein Argument für eine „Life-Extension-Pill“? Space-Migration, Intelligence-Increase und Life-Extension – kurz SMILE - war übrigens ein Konzept Timothy Learys, der weit mehr war als der „High-Priest“ der Hippies (von denen er übrigens gar nicht viel hielt – Hedonismus führt zur Stagnation).

Des Menschen Träume sind das eine – die Wirklichkeit ist das andere. Ich habe zuviel Desillusionierungen hinter mir, um mich noch für derlei begeistern zu können. Das möge aber niemanden abhalten, sich zu begeistern. Vielleicht liegt es nur an meinem Alter und der Tatsache, dass ich unter meinen nächsten Angehörigen jemanden habe, der an Alzheimer-Demenz erkrankte. Letzteres hat mir auf sehr drastische Weise die Ohnmacht unserer High-Tech-Medizin gezeigt. Es sind mehr als 100 Jahre vergangen, als Alois Alzheimer erstmalig anhand histologischer Untersuchungen diese Krankheit wissenschaftlich beschrieb und heute haben wir mal gerade eben buchstäblich nur eine Handvoll sog. Antidementiva (Acetylcholinesterasehemmer und NMDA-Rezeptorblocker), die im besten Fall die schwere (!) Pflegebedürftigkeit um max. zwei Jahre aufschieben können, sofern sie beim Patienten anschlagen, was auch nicht garantiert ist. Heilung ist nicht möglich, die Degeneration nicht aufhaltbar. Dagegen blüht ein Hypothesenwildwuchs, weil die Ätiologie dieser neurodegenerative Erkrankung immer noch unklar ist. Mir fiel u.a. ein etwas älteres Ratgeberbuch aus dem Jahr 2000 in die Hände. Darin fand ich ein optimistisches Vorwort. Man werde in drei bis fünf Jahren zuverlässige Medikamente zur Heilung haben. Mittlerweile sind neun Jahre vergangen und nichts ist geschehen. Man liest zwar nach wie vor immer wieder von angeblichen Durchbrüchen und Impfaktionen, aber bald danach ist es schon wieder still. Dagegen liest man dann von unhaltbaren und menschenunwürdigen Zuständen in Pflegeheimen. Das ist die Wirklichkeit und was irgendwelche Hypothesen über „globale Bewusstseinsrevolutionen“ daran ändern sollen, weiß ich beim besten Willen nicht. Da muss ganz handfest geforscht werden mit Milliarden Investitionen und nicht am Gängelband der Pharmariesen. Ich gebe zu, dass ich derlei – wie wohl viele andere auch - ausblendete, bevor das Unheil an die Tür meiner Angehörigen klopfte und das empfinde ich heute als beschämend ob meiner Ignoranz. Mir wurde übrigens auch klar, wie weit ein mehr oder weniger subtiler Sozialdarwinismus real existiert, denn alte Leute bringen ja nichts und kosten nur. Wenn ich daran denke, was bald unter Westerwelle/Merkel an Gesundheitspolitik auf uns zukommen mag, könnte ich gar nicht so viel essen wie ich k.... möchte. Übrigens bin ich ziemlich sicher, dass Hoimar von Ditfurth diese Zustände angeprangert hätte – hatte er sich ja zu Zeiten, als die SPD noch mit gutem Gewissen wählbar war, für die Wahl Willy Brands engagiert.

Natürlich helfen auch Visionen – spirituell oder technologisch. Das will ich auch nicht verwerfen. Ich tröste mich ja zuweilen schon mit der aus der Advaita-Vedanta stammenden Lehre der Gedankenstille (alternativ ZEN) wie sie von einem nicht berühmten Lehrer, der das „Guru-Schüler-Spiel“ nicht spielte und nur ein kleines Zimmer sein eigen nannte, stammt (Nisargadatta Maharaj). Der Trost liegt einfach darin, dass jene Gedankenleere, jenes, was auftaucht, wenn Erinnerungen, Assoziationen, usw. nicht wirken, womöglich das sein könnte, worauf der Alzheimerpatient zusteuert. Es ist makaber, aber wahr, dass dann wenigstens vom Patientin vielleicht gegen Ende seines Lebens ein Zustand erreicht wird, den andere für viel Geld via fragwürdiger Praktiken als selbsternannte „Geisteslehrer“ oder Gurus verkaufen. Für Angehörige und Pfleger allerdings sieht das dramatischer aus.

Was nun die ungeheure Umwälzung betrifft, so wird es Zeit für den Gott der Bibel, einzugreifen bevor wir hier alles erledigt haben. Der Mensch hat sich m.E. in Tausenden Jahren nicht grundlegend geändert und wird das bis auf weiteres wohl auch nicht schaffen. Allein in den letzten 100 Jahren hat sich der Mensch von seiner wohl schäbigsten Seite gezeigt. 50 Mio. Tote allein im WK 2, das haben ja alle antiken Potentaten zusammen nicht geschafft. Dafür waren ja keine Aliens oder Dämonen verantwortlich – das waren wir selber. Wir haben gewissermaßen den Teufel arbeitslos gemacht. Das wird m.E. nicht besser werden, dafür werden alleine schon die aus der Überbevölkerung resultierenden Verteilungskämpfe sorgen. Aber ich lasse mich gerne vom Gegenteil überraschen und sage mit Hoimar von Ditfurth die Worte, die er in einer Talkshow 1985 anlässlich einer Diskussion seines „Apfelbäumchens“ sprach: „Ich hätte nichts dagegen, wenn ich mich irrte.“

Mit freundlichen Grüßen
Egon de Neidels

p.s. Ich habe aus Gründen der Hilfe bei der Pflege leider nicht immer die Zeit, in Foren zu diskutieren und werde mich ggf. erst in einigen Wochen wieder hier melden.




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