Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel


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Abgeschickt von Klemens Taplan am 12 Oktober, 2009 um 15:03:16:

An die Leser des Forums!

Wer sich für den aktuellen Stand der Hirn- und Bewusstseinsforschung interessiert, dem empfehle ich von Thomas Metzinger das Buch „Der Ego-Tunnel“. Metzinger arbeitet seit Jahren mit Neuro- und Kognitionswissenschaftlern zusammen, beschäftigt sich mit einer Theorie der Subjektivität und gilt weltweit als anerkannter Philosoph des Geistes. Der Ego-Tunnel ist sein erstes Buch für ein breites Publikum.

Er vertritt die These, dass das erlebte Ich von unserem Gehirn erzeugt wird, und dass das, was wir wahrnehmen, nichts als ein virtuelles Selbst in einer virtuellen Realität ist.

Nach Metzinger besitzt der Mensch ein bewusstes Modell seines Organismus als Ganzem, ein so genanntes phänomenales Selbstmodell. Dieses wird vom Gehirn aktiviert und erlaubt einem biologischen Organismus, sich selbst bewusst als Ganzheit zu begreifen. Der Inhalt des phänomenalen Selbstmodells ist das Ego.

Für das bewusste Erleben verwendet Metzinger den Begriff Ego-Tunnel. Unser bewusstes Leben bewegt sich im Ego-Tunnel. Das Konzept des Ego-Tunnels basiert auf dem älteren Begriff des Realitätstunnels von Robert Anton Wilson, ist mit diesem aber nicht identisch.

Für Metzinger ist der kontinuierlich ablaufende Vorgang des bewussten Erlebens weniger ein Abbild der Wirklichkeit als vielmehr ein Tunnel durch die Wirklichkeit.

Zuerst erzeugt unser Gehirn eine Simulation der Welt, die so perfekt ist, dass wir sie nicht als Bild in unserem Gehirn erkennen können. Dann generiert es ein inneres Bild von uns selbst als einer Ganzheit, das phänomenale Selbstmodell. Dieses Bild umfasst nicht nur unseren Körper und unsere mentalen Zustände, sondern auch unsere Beziehung zu Vergangenheit und Zukunft sowie zu anderen Menschen. Durch die Einbettung des Selbstmodells in das Weltmodell wird ein Zentrum geschaffen, das Selbst oder Ego.

Wir stehen nicht in direktem Kontakt mit der äußeren Wirklichkeit. Wir leben unser bewusstes Leben im Ego-Tunnel. Wir können unser Selbstmodel nicht als solches erkennen, weil es transparent ist, d.h. wir sind uns des Mediums, durch das uns Informationen erreichen, nicht bewusst. Wir können erlebnismäßig nicht erkennen, dass es sich um eine Simulation handelt.

Letztlich ist subjektives Erleben, eine spezifische Weise der Präsentation von Informationen über die Welt. Das deutliche und stabile Erleben, nicht in einem Tunnel zu sein, sondern tatsächlich und unmittelbar in Verbindung mit der äußeren Wirklichkeit zu stehen, ist eines der bemerkenswertesten Charakteristika des menschlichen Bewusstseins.

Metzinger beschreibt in dem Buch einige Experimente, die seine Thesen stützen. Er strukturiert das Thema Bewusstseinsforschung, behandelt anschaulich die Fragen, die sich auf diesem Gebiet stellen und liefert Antworten, soweit das beim heutigen Wissensstand möglich ist.

Darüber hinaus beschäftigt er sich in eigenen Kapiteln mit den Grundlagen künstlicher Ego-Maschinen und einer zeitgemäßen Bewusstseinsethik.

Die derzeitige Situation hat Wolf Singer, Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main, bereits 2003 in seinem Buch „Ein neues Menschenbild?“ treffend beschrieben: „Wir sind gespalten zwischen dem, was wir aus der Erste-Person-Perspektive über uns wahrnehmen, und dem, was uns wissenschaftliche Analyse aus der Dritte-Person-Perspektive über uns lehrt“.

Die Ergebnisse der Hirnforschung harmonieren nicht mit dem Selbstverständnis des Menschen.

Mit freundlichen Grüßen
K.T.





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